Ich stehe am Rand eines Weingartens und beobachte Manuel dabei, wie er die moderne High-Tech-Weinlesemaschine und den riesigen Traktor völlig fasziniert mit seinen kleinen, aufgeweckten Augen verfolgt. Sein Mund steht ein kleines Stückchen weit offen und er bestaunt das Gefährt, das da die Trauben mit einem ohrenbetäubenden Geräusch von den Weinstöcken reißt und in den großen weißen Behältern auf beiden Seiten sammelt. `Puh, ist das laut´, denke ich und gehe automatisch ein paar Schritte zurück. Als uns der Bauer entdeckt hält er kurz an und die Maschine und der Motor werden leiser. Er öffnet die Fahrertür und nimmt seine Ohrenschützer ab. Er schaut Manuel mit einem Lächeln an und ruft ihm laut zu: „Mogst mitfoan?“. Manuel schaut fragend zu mir und ich nicke ihm aufmunternd zu. Im nächsten Moment klettert er mit meinem iPhone in der Hand zu dem Mann auf den Traktor und dann fahren sie auch schon los. Manuel filmt alles mit meinem Handy und schaut der Maschine nun aus nächster Nähe dabei zu, wie sie immer mehr Trauben erntet. Es dauert keine drei Minuten bis wieder eine ganze Reihe fertig gelesen ist. Manuel hält alles filmisch für seine Freunde und Klassenkameraden mit dem Handy fest. So macht man das heute!
Während ich den Traktor wieder langsam zwischen den Reben verschwinden sehe, werden plötzlich - von einem Moment auf den anderen - Erinnerungen an meine eigene Kindheit in mir wach:
Es ist noch ganz früh am Morgen. Feine Nebenschwaden hängen über dem Boden und bringen erste Kunde vom nahenden Herbst. Die Schreie der Stare liegen in der Luft und die Schwalben sammeln sich schon vereinzelt auf den Drähten der Stromleitungen. Langsam geht die Sonne hinter den Hügeln der Weingärten auf und taucht den Himmel in ein orangerotes Licht. Der zarte Nebelschleier in der Luft verschwindet mit der steigenden Sonne und der Sommer zeigt noch einmal, dass er den Kampf gegen den Herbst noch nicht verloren hat. Schnell wird es wärmer, doch die Sonnenstrahlen brennen nicht mehr so heiß auf der Haut, wie noch vor ein paar Wochen.
Auf dem Hof tuckert bereits der Traktor und ich höre meine Großmutter rufen: „Nadine, steh auf und zieh dich schnell an. Gleich geht es los! Komm mein Kind, heute ist ein ganz besondere Tag!“. Aufgeregt springe ich aus dem Bett, ziehe mein Nachthemd über meinen Kopf und schlüpfe in mein Dirndl, das ich mir extra für diesen Tag heute bereit gelegt habe. Die Morgenluft ist noch kühl und ich ziehe eine Weste über. Ich stürme hinaus in die Küche und meine Großmutter hält mir ein Brot mit Butter und selbstgemachter, verführerisch duftender, leuchtend oranger Marillenmarmelade entgegen. Ich drücke ihr einen Kuss auf die Wange, schnappe das Brot und stürme durch die alte knarrende Holztür auf den Hof hinaus – direkt zum alten blauen Traktor, der schon mit dem großen Anhänger hier steht und lustig vor sich hin tuckert. Der Lack ist schon an vielen Stellen abgesprungen und jede Delle erzählt eine andere Geschichte aus den unzähligen Jahren, die er schon bei meinen Großeltern fast täglich im Einsatz ist. Ich bleibe neben dem Traktor stehen, der mich irgendwie an ein Heupferd erinnert und beiße in mein Brot. Ein wundervoller Geschmack von duftenden reifen Marillen und dem Anis aus dem Sauerteig breitet sich in meinen kleinen Mund aus. Sie treffen auf meiner Zunge aufeinander. Ich halte kurz inne und schließe meine Augen. Ich kann den Marillenbaum in meinen Gedanken wieder vor mir sehen, unter dem ich vor ein paar Monaten herumgetanzt bin und meine Finger auf Zehenspitzen den reifen Früchten entgegen gestreckt habe, die meine Oma dann gemeinsam mit meiner Mama und mir zu dieser herrlichen Marmelade eingekocht hat.
Als ich meine Augen wieder öffne bemerke ich zwei freche Enten neben mir, die ihre Hälse zu meiner Hand hoch recken, um etwas von dem leckeren Brot zu erhaschen. Nichts da, das gebe ich nicht her! Schnell strecke ich meinen kleinen Arm ganz hoch und laufe fröhlich zu meinem Großvater hinüber, der schon neben dem Gummiwagen steht und große Holzbutten hinein hebt. Ich schaue ihm neugierig zu und verschlinge dabei mein Marmeladebrot gierig Bissen für Bissen. Um meinen Mund herum klebt eine Mischung aus Butter und herrlicher Marillenmarmelade. Mein Opa lächelt mich an, als er mich entdeckt, wuschelt über meine Haare und sagt zu mir: „Guten Morgen meine kleine Prinzessin!“. Er kneift mich liebevoll in die Wange und wischt mir etwas Marmelade und Butter von meinem Mund. Er leckt sich die rauen Finger davon ab und sagt dann zu mir: „Mhhhh ist das gut! Bekomme ich auch was von deinem himmlischen Brot?!“. Ich muss Lachen und stopfe das letzte Stück hastig in meinen Mund, damit ich es ja nicht hergeben muss. Ich habe Mühe das große Stück zu kauen und meine Backen füllen sich mit dem köstlichen Marmeladebrot wie die eines Hamsters. Opa lächelt bei diesem Anblick, nimmt mich an den Hüften, wirbelt mich durch die Luft und hebt mich dann auf den Traktor hoch. Ich quietsche vor Vergnügen und spüre das Adrenalin in meinen Körper schießen. Durch jede Muskelfaser strömt in diesem Moment ein wohlig warmes Gefühl.
Ich drehe mich um und sehe meine Oma gemeinsam mit meiner Mama, meinem Papa, meinem Onkel und meiner Tante aus dem alten Bauernhaus kommen. Sie tragen große Körbe, die mit weißen, bestickten Tüchern bedeckt sind, zum Traktor. Nur mit Mühe können sie die schweren Körbe zu den anderen Sachen auf den Anhänger hoch heben, bevor sie selbst hinauf klettern und sich auf die Ladefläche setzen, auf der auch schon zwei Schubkarren und eine Milchkanne mit alten Scheren drin liegen.
Dann fährt der Traktor mit einem heftigen Ruck auch schon los - aus dem Hof über die Pflastersteine des Schintergrabens, wie die steile Straße auf den Berg zum Haus meiner Großeltern hinauf von den Dorfbewohnern genannt wird, vorbei an anderen entzückenden kleinen Bauernhäusern hin zum schmalen Feldweg, der zu den Äckern führt. Der Traktor ruckelt und schaukelt vorbei an Stoppelfeldern, auf denen vor ein paar Wochen noch Roggen und Hafer gestanden sind zu den Weingärten unserer Familie. Plötzlich läuft ein Fasan vor uns über die staubigen Rillen des Weges. Ich rufe laut „Da!“ und zeige aufgeregt auf das bunte Federvieh, das schnell das Weite sucht. Mein Opa schaut zu mir herüber und nickt mir lächelnd zu. Er weiß, wie sehr ich die Tiere und die Felder hier liebe. Ich schaue ihn an und schenke ihm mein strahlendstes Lächeln. Ich betrachte sein Gesicht von der Seite. Seine faltige, ledrige sonnengebräunte Haut, sein Hut, sein stoppeliger Bart und seine wilden Augenbrauen sind mir so vertraut. Die Sonne steht jetzt schon viel höher am Himmel und ihre Strahlen zaubern einen milchigen Schein auf das Firmament. Obwohl die lauten Geräusche vom Traktor in der Luft liegen, kann ich hinter mir meine Oma und meine Eltern mit meinem Onkel und meiner Tante scherzen und lachen hören. Eine fröhliche Stimmung liegt in der Luft. Alle sind guter Dinge und voller Vorfreude auf den heutigen Tag. Das Wetter könnte nicht besser sein – es ist ein perfekter Tag für die Weinlese.
Es dauert nicht lange und wir sind beim Weingarten angekommen. Als sich der Traktor nähert fliegen ein paar Stare von den Reben hoch und lassen sich im nächsten Weingarten mit ihrem typischen Gezwitscher nieder. „Jetzt ist Schluss mit Naschen“, sagt mein Opa in ihre Richtung und fährt in die Wiese vor dem Weingarten. Dann bleibt er stehen und steigt ab.
Ich bin aufgeregt und wetze auf meinem Sitz hin und her. Ich kann es nicht erwarten, bis er mich vom Traktor hebt und ich zu den Weinreben laufen kann. ´Wie die Weintrauben wohl heuer schmecken?`, frage ich mich neugierig, als mich seine starken Arme schon hoch heben. Inzwischen sind auch schon mein Papa und mein Onkel vom Gummiwagen gesprungen und helfen den anderen herunter, bevor sie die Schubkarren und die Buttenkraxen abladen.
Oma verteilt schon die Scheren an alle Anwesenden und in der Ferne ist noch ein Traktor zu hören, der sich langsam nähert. Die Nachbarn kommen, um zu helfen und wenig später treffen noch weitere bekannte Gesichter aus dem Dorf auf ihren Fahrrädern bei uns ein. Im Nu sind alle mit Scheren, Eimern und Holzbutten ausgestattet und die ersten Stängel der Trauben werden schon von den Reben geschnitten. Ich suche mir eine ganz besonders schöne Traube aus und nasche die süßen Perlen – mmmmmmh sind die lecker! Ein paar andere Kinder aus dem Dorf sind auch mitgekommen und es dauert nicht lange und wir vertreiben uns die Zeit mit fangen und verstecken spielen. Wir tollen ausgelassen zwischen den Helfern herum und schneiden selbst die eine und andere Traube ab. Ich lege meine ganz sachte und behutsam in meine Milchkanne. Kaum ist die Kanne voll laufe ich schon zum Anhänger und versuche sie zu den anderen Trauben zu leeren. Ich bin noch etwas zu klein und komme nicht ganz hoch, doch da ist auch schon eine helfende Hand zur Stelle und ich kann schon wieder zurück in den Weingarten laufen, um neue Weintrauben zu ernten. Auf dem Weg dorthin entdecke ich einen Feldhasen ein paar Reihen weiter. Ich stelle meine Milchkann ganz langsam und leise neben mir auf die Erde und schleiche mich an. Der Hase duckt sich zwischen blühenden Kamillen und Kornblumen und macht sich ganz klein. Erst als ich ihm zu nahe komme, springt er mit einem Satz hoch und läuft hakenschlagend davon. Ich bleibe stehen und schaue ihm nach. Bald ist er verschwunden und zurück bleiben nur kleine Staubwölkchen über dem Boden, die er mit seinen kräftigen Hinterpfoten beim Weghoppeln in der trockenen Erde aufgewirbelt hat.
Die Sonne steht jetzt schon ganz hoch am Himmel und ich brauche meine Weste nicht mehr. Ich ziehe sie aus. Die Sonne wärmt meine Haut mit ihren noch kräftigen Strahlen und der Duft von Heimat liegt überall in der Luft. Ich atme tief ein und wieder aus und inhaliere diesen Geruch, der sich unvergesslich in meine Erinnerung einbrennt. In der Zwischenzeit ist es Mittag geworden und ich sehe die Frauen im Schatten unter dem alten Nussbaum mit den riesengroßen "Bemanüssen" Decken auf den Boden ausbreiten. Dann werden die Tücher von den Körben genommen und ich weiß: jetzt gibt es Brotzeit! Erst jetzt bemerke ich, dass ich Hunger habe und laufe rasch hinüber, damit ich mir den besten Platz sichern kann: den neben meiner Oma! Denn sie schaut immer darauf, dass ich die besten Stücke bekomme und es mir an nichts fehlt.
Auf Holzbrett´ln türmen sich selbstgemachte Würstel, Käse, Speck, hartgekochte Eier, Paradeiser, Grammeln, Paprika, selbsteingelegte Senf- und Salzgurken, Pfefferoni und zwei große Laibe von dem herrlichen selbstgebackenen Brot meiner Oma. Opa nimmt einen Brotlaib in die Hand, spricht ein kurzes Dankesgebet und macht mit dem Messer ein Kreuz darauf. Dann schneidet er dicke Scheiben davon ab und jeder bekommt eine. Alle greifen zu und im Nu ist fast alles aufgegessen. Jetzt greift meine Oma nach einem kleinen Korb, auf dem noch ein weißes Tuch liegt und holt einen Zwetschkenfleck mit Streusel heraus. Ich schnappe mir das erste und größte Stück. Der süßsaure Geschmack der Zwetschken, das Zimt und der Puderzucker in meinem Mund sind einfach himmlisch. Ich lasse mich auf die Decke nach hinten fallen und schaue in die große Baumkrone hoch. Oben hängen die Nüsse in ihren grünen Schalen. Vereinzelt springen sie schon auf. Ein Gefühl von Wärme, Geborgenheit und Liebe durchflutet meinen Körper und ich schließe die Augen. Ich lausche den Geräuschen um mich herum: den vertrauten Stimmen meiner Familie und der fleißigen Lesehelfer, dem Rascheln der Blätter des Nussbaums im Wind, der lebhaft aufgefrischt hat und in der Ferne kann ich einen Traktor und das Zwitschern von Vögeln hören. Ich merke nicht, dass ich langsam einschlafe während die anderen schon längst wieder fleißig an der Arbeit sind, um alle Weintrauben von den Reben zu holen . . .
Das ohrenbetäubende Geräusch des Traktors und seiner Lesemaschine reißen mich aus meinen Gedanken und holen mich in die Gegenwart zurück. Es hat keine 15 Minuten gedauert und die ganze Lese ist vorbei. Der Traktor manövriert die Erntemaschine vor einen großen Anhänger eines zweiten Traktors, der auf der Futterwiese eines benachbarten Feldes steht. Nun können die Trauben abgeladen werden. Manuel ist schon vom Traktor geklettert und läuft auf die Straße vor dem Gummiwagen. Gespannt wartet er bis Traubenperlen und Traubensaft aus den beiden Behältern der großen Maschine auf den Anhänger prasseln. Wenige Minuten später ist alles erledigt und der zweite Bauer, der im Traktor gewartet hat und mir jetzt erst auffällt, steigt aus, klettert am Hänger hoch und prüft den Zuckergehalt der Trauben mit einem kleinen Gerät in seiner Hand. Als er absteigt beginnt er mit uns zu plaudern. Er lässt Manuel und mich durch den Refraktometer schauen und dann steigt er auch schon wieder ein und bringt seine Trauben nach Hause, wo sie gepresst und der Traubensaft in Fässer gefüllt wird, damit er langsam zu Wein werden kann.
Wehmütig denke ich an den wunderschönen Tag in meiner Kindheit zurück, an dem die Trauben noch von Hand gelesen wurden und alles viel schöner war . . . und vielleicht geht es heute mehr Menschen wie mir und möglicherweise werden die Trauben irgendwann wieder, wie damals in der guten alten Zeit, von Hand gelesen, damit wir das unbeschreiblich Gefühl von einst in unsere moderne Welt zurück holen können . . . das Gefühl von Geborgenheit, Ruhe, Wärme – das ist Heimat! Das ist unser Österreich mit seinen Menschen und Traditionen . . .
Ich sitze auf dem Boden im Wohnzimmer. Dicke Tränen laufen über meine Wangen. Ich schluchze vor Verzweiflung, Zorn und Wut auf mich selbst. Und ich frage mich schon zum hundertsten Mal: Wie konnte mir das passieren? Morgen ist Heiliger Abend . . . Wieso habe ich einfach vergessen etwas zu Essen einzukaufen? Und warum habe ich außer für meinen Sohn keine Geschenke? Für niemand?! Nicht einmal für meine Eltern und meine beste Freundin? Ich bin verzweifelt und völlig fertig. Es ist spät. Die Uhr im Wohnzimmer zeigt bereits weit nach Mitternacht und ich bin todmüde. Ich sollte schlafen gehen, aber ich habe keine Kraft um aufzustehen. Wie gelähmt sitze ich da, unfähig mich zu bewegen. Alles um mich herum verschwimmt und ich fühle einen stechenden Schmerz in meinem Kopf. Es fühlt sich an, als würde sich eine dicke Eisenstange von oben durch meinen Schädel bohren. Ich schließe meine Augen und als ich sie wieder öffne, sehe ich Teile von dem, was ich anschaue, nicht mehr: ein Migräne-Anfall. Eine neuerliche Welle von Tränen schießt aus meinen Augen. Ich lasse mich auf die Seite auf den Boden fallen. Ich krümme mich zusammen. Mein Körper wird vom lauten Schluchzen geschüttelt. Mir geht es schlecht. Richtig schlecht. Ich schwitze, obwohl sich die Heizung bereits vor Stunden abgeschaltet hat und es kalt in der Wohnung geworden ist. Heiße Tränen laufen über meine roten Wangen und meine Nase rinnt. Meine Haare kleben an meinem Kopf. Ich bin so verzweifelt und zornig. Ich schlage mit meinem Kopf auf den harten Parkettboden – so oft und fest ich kann, bis ich blute. Und niemand ist da, der mir hilft. Niemand kommt und hält meinen Kopf fest, zieht mich hoch, trocknet meine Tränen und sagt mir, dass alles gut wird - zeigt mir einen Weg aus der völlig aussichtslosen Situation.
Ich liege noch eine Weile so da – ich weiß nicht wie lange - bevor ich die Kraft finde mich endlich aufzuraffen und mit großer Mühe aufzustehen. Es dauert eine Zeit lang, bis ich es schaffe und mich ins Badezimmer schleppe. Ich mache das Licht an und drehe den Wasserhahn auf. Kaltes Wasser fließt über meine Handgelenke und ich blicke hoch. Beim Anblick meines Gesichts im Spiegel erschrecke ich. Ich sehe entsetzlich aus: alt, abgekämpft, völlig fertig und das zerronnene und verwischte Augen-Makeup tut sein Übriges. Das Wasser ist mittlerweile heiß geworden, aber ich spüre es nicht. Ich sammle etwas davon in meinen Handflächen und wasche mir das Gesicht damit. Ich stütze mich mit beiden Händen am Waschbecken ab und schließe meine Augen. Das Wasser tropft von meinem Gesicht. Ich überlege verzweifelt, wie ich das mit den Geschenken und dem Essen lösen kann. Für die Freunde kaufe ich nach Weihnachten etwas, das ist nicht so schlimm. Nur für meine Eltern habe ich morgen wohl nichts, wenn mir nicht noch etwas einfällt. Lebensmittel kann ich morgen noch schnell kaufen fahren, wenn ich sehr früh aufstehe. Ich ziehe ein Handtuch von der Handtuchstange, trockne mein Gesicht und danach meine Hände. Ich merke nicht, dass sie durch das heiße Wasser rot geworden sind und brennen. Ich schaue erneut in den Spiegel und was ich da sehe, gefällt mir kein bisschen besser: Die Tränen und das verschmierte Makeup sind weg, aber meine Augen sind rot, die Augenlider verschwollen, meine Nase und meine Lippen vom Weinen aufgequollen, an meiner Schläfe klebt Blut von einer hässlichen klaffenden Wunde und meine Haut ist aufgedunsen. Mir geht es nicht gut.
Schon seit Wochen kämpfe ich mit Schlafstörungen, häufigen Migräne-Attacken und fühle mich ausgebrannt. Ich bin alleinerziehende Mutter und mit meinem Leben völlig überfordert. Ich arbeite im Schnitt 50 Stunden pro Woche in einer Führungsposition im Personalbereich, was unglaublich fordernd ist, weil es Teil des Jobs ist, sich den ganzen Tag die Probleme und Befindlichkeiten anderer anzuhören, gute Ratschläge zu geben, Konflikte zu lösen und ein Team von 26 Mitarbeitern zu leiten. Das kostet Kraft – unheimlich viel Kraft. Ich fahre jeden Tag 48 Kilometer in die Arbeit und wieder zurück, stehe um 05:30 Uhr auf, verlassen zwischen 06:00 und 06:30 Uhr das Haus und komme gegen 19:00 und 19:30 Uhr wieder zurück. Freitag habe ich oft frei und ein langes Wochenende, aber da kann ich mich auch nicht erholen. Da warten schon all die Sachen auf mich, für die unter der Woche keine Zeit – besser gesagt: keine Kraft – mehr bleibt: der Einkauf, die Wäsche, Aufräumen, Putzen, Kochen und Lernen, Spielen, Basteln und etwas unternehmen mit Manuel, Rechnungen zahlen, die Gartenarbeit erledigen, etc. Das ist mir zu viel! Ich kann nicht mehr!
Manuel ist öfters krank. Wer steht auf, wenn er in der Nacht weint und es ihm nicht gut geht? Ich natürlich, wer sonst?! Wer ist dafür verantwortlich, dass immer etwas zu Essen zu Hause ist, schleppt die schweren Einkaufstaschen heim und räumt alles ein? Klar: ich! Wer trägt als Einziger die Last das Familieneinkommen zu sichern und unser Leben zu finanzieren? Auch ich natürlich! Ich könnte diese Liste noch endlos fortsetzen . . . Tausend Sachen, die auf meinen Schultern wie ein schwerer Ambos lasten, der mir die Luft zum Atmen nimmt und mich langsam erdrückt. Jeden Tag ein bisschen mehr. Und ich habe nicht die Kraft das Ding zu packen, von meinen Schultern zu reißen und auf den Boden zu werfen. Ich schaffe es nicht, mich davon zu befreien.
Jetzt hat mein Körper wohl die Notbremse gezogen. Er hat die Gedanken an Einkauf und Geschenke für Familie und Freunde ausgeblendet. Ein Eigenschutzmechanismus – eigentlich zu meinem Wohl - der mich jetzt aber wie ein Blitzschlag trifft. Er führt mir vor Augen, dass ich überhaupt nicht perfekt bin und nichts mehr auf die Reihe kriege - gar nichts! Und das ist ganz besonders schlimm für mich. Ich bin ein Perfektionist und will alles immer perfekt machen: die perfekte Mutter, Hausfrau, Gastgeberin, Personalmanagerin und Führungskraft sein. Immer muss alles perfekt sein. Perfekt, perfekt, perfekt! Jetzt erkennen zu müssen, dass ich nirgends perfekt war, war eine Katastrophe für mich und lässt mich völlig verzweifeln. Ein neuer Schwall Tränen bricht aus mir heraus und mein Kinn beginnt zu beben. Ich merke nicht, dass ich laut schluchze. An Weihnachten sieht man alles durch ein Vergrößerungsglas. Geht es einem gut, dann ist man zu dieser Zeit noch viel glücklicher als sonst und erlebt alles in hellem, strahlendem Glanz. Aber mir ging es überhaupt nicht gut und das schmerzte heute noch mehr als an jedem anderen Tag des Jahres. An Weihnachten ziehen wir Bilanz über das vergangene Jahr und unser Leben. Meine Bilanz war dunkel . . .
Plötzlich reißt mich ein Geräusch aus dem Kinderzimmer gefolgt von einem leisen „Mama? Bist du wach?“ aus meiner Verzweiflung. Schnell wische ich mit meinen Händen die Tränen aus dem Gesicht, putze mir die Nase und gehe zu Manuel ins Kinderzimmer. Manuel setzt sich etwas auf und fragt mich mit zusammengekniffenen Augen: „Mama, geht es dir nicht gut? Bist du krank? Hast du geweint?“. „Nein, nein, alles OK. Mir geht es gut. Ich bin nur etwas traurig“, presse ich mit matter Stimme hervor und versuche fröhlich auszusehen. Ein gequältes Lächeln erscheint auf meinem Gesicht. Manuel schaut mich fragend an und sagt dann: „Aber Mami, du musst doch nicht traurig sein. Heute Nacht kommt doch das Christkind und bringt dir bestimmt auch ein ganz schönes Geschenk.“. Ich muss lächeln und antworte: „Ganz bestimmt! Du hast Recht.“. Ich gebe Manuel einen Kuss auf die Wange und sage zu ihm: „So, jetzt schlaf weiter!“, und denke mir `Wäre zu schön um wahr zu sein, wenn mir das Christkind ein Geschenk bringen würde wie 40 Kilo weniger auf der Waage . . ´, nicht ahnend, dass in dieser Nacht wohl wirklich ein kleines Wunder geschehen würde und irgendjemand ein ganz besonderes Geschenk für mich unter den Baum legen sollte - das schönste Geschenk der Welt für mich . . . nur finden werde ich es erst Monate später . . .
Manuel lässt seinen Kopf wieder nach hinten auf das Kissen fallen, murmelt noch: „Gute Nacht, schlaf gut Mami“, und ist im nächsten Moment auch schon wieder eingeschlafen. Ich streichle mit meiner Hand über seine Wange und flüstere: „Du auch! Ich hab dich lieb mein Schatz. . .“. Ich bleibe noch kurz an seinem Bett sitzen, bevor ich aufstehe und mit einem tiefen Seufzen aus seinem Zimmer in Richtung Schlafzimmer gehe. Ich muss funktionieren. Es geht gar nicht anders. Manuel braucht mich. Für ihn muss ich das alles schaffen. Für ihn muss ich stark sein. Nur wie???
Mir geht es gesundheitlich total schlecht. Ich kann in der Nacht nicht mehr durchschlafen. Ich nicke zwar irgendwann ein, wache dann aber jedes Mal gegen 02:00 oder 03:00 Uhr wieder auf. Mir gehen tausend Dinge durch den Kopf, die ich nicht vergessen darf und wälze mich bis zum Weckerläuten schlaflos hin und her. In der Arbeit merkt niemand etwas davon, wie es mir wirklich geht. Mein Job verlangt äußerste Professionalität und vollen Einsatz von mir. Und lächeln und jederzeit ein offenes Ohr für jeden zu haben, ist Pflicht. Doch sobald ich ins Auto steige, verschwindet das Lächeln von einer Sekunde auf die andere aus meinem Gesicht und ich falle in mein tiefes schwarzes Loch zurück. Manchmal bin ich bei der Autofahrt irgendwo. Irgendwann komme ich dann wieder zu mir und stelle mit Entsetzen fest, dass ich keine Ahnung habe, wie ich bis hier her gekommen bin. Ich kann mich an nichts erinnern.
Auch meine Familie bekommt nichts mit. Ich lasse mir nichts anmerken - so gut es geht. Ich fühle mich oft wie in Trance. So viele soziale Kontakte ich bei meiner Arbeit habe, so wenige möchte ich in meiner Freizeit. Ich will niemand treffen und ziehe mich immer mehr zurück. Die meisten Freunde verstehen das nicht und wenden sich ab. Nur einige wenige sind mir geblieben und auch die will ich nicht sehen. Ein Treffen ist mir viel zu anstrengend – ich habe keine Kraft dafür, mich zu verstellen, zu lächeln und so zu tun, als würde es mir gut gehen. Das ist anstrengend – zu anstrengend für mich im Moment. Aber mich nicht verstellen und darüber reden, wie es mir wirklich geht, will ich auch nicht. Und ich geniere mich, weil ich immer dicker und dicker werde. Ich würde am liebsten gar nicht mehr raus gehen. Wäre Manuel nicht, würde ich das ganze Wochenende zu Hause bleiben und mich im Bett verkriechen. Zeit für mein Hobby, das Fotografieren, nehme ich mir schon lange nicht mehr. Und auch das Kochen habe ich längst aufgegeben. Stattdessen versuche ich meinem Perfektionismus gerecht zu werden und putze die Wohnung mit letzter Kraft auf Hochglanz. Die Fenster mal schmutzig sein lassen? Geht gar nicht für mich! Alles muss perfekt sein. Das ist nicht zu schaffen und treibt mich immer mehr auf einen steilen Abgrund zu – einen Abgrund namens Bourn-Out!
Ein Arzt, mit dem ich darüber spreche rät mir, ich soll eine Therapie machen, abnehmen und mit Sport beginnen! Ich kann darüber nur mit dem Kopf schütteln. Wie stellt er sich das vor? Wie soll das gehen? Ich bin doch jetzt schon total fertig und bringe die vielen Sachen, die ich alle erledigen muss, nicht mehr unter einen Hut. Wo sollte ich bitte die Zeit und vor allem die Kraft dafür noch her nehmen? Ich erkenne, dass ich etwas ändern muss, aber ich weiß nicht wie, bis sich eines Tages alles komplett ändern sollte . . . aber bis dahin würden noch Monate vergehen . . . und so setze ich mich um 02:18 Uhr an den Tisch und schreibe meinen Eltern und meiner besten Freundin einen Gutschein für ein gemeinsames Essen statt zu schlafen . . .
Es ist Donnerstagmorgen, 05:10 Uhr in der Früh. Ich stehe auf der Waage. Um
die Anzeige sehen zu können, muss ich mich ein ganzes Stück mit dem Oberkörper nach
vorne beugen - mein fetter, schwabbeliger Bauch ist im Weg. Auf der Digitalanzeige
blinken die Ziffern 119,8. Die Zahl brennt sich in meinem Kopf ein. Ich wusste
schon, warum ich mich so lange davor gedrückt habe, mein Gewicht wieder einmal
zu kontrollieren. Schnell steige ich von der Waage. Ich möchte das nicht wahr
haben, aber davonlaufen geht leider nicht. Spätestens der Blick in den nächsten
Spiegel führt mir mein Übergewicht wieder vor Augen. Manchmal, wenn ich mich im
Spiegel anschaue, kann ich es selbst nicht glauben, dass ich das bin. In meinem
Kopf sehe ich mich immer noch so schlank wie vor vielen Jahren und nicht so,
wie ich jetzt tatsächlich bin: fett und unansehnlich. Verdrängen nennt man das
wohl! Schon in der Schwangerschaft habe ich sehr viel zugenommen. In den
letzten Jahren habe ich mehrmals versucht abzunehmen. Jedes Mal mit dem
gleichen Erfolg: kaum war die Diät beendet nahm ich noch mehr zu, als ich an
Gewicht verloren hatte. Einmal waren es sogar 17 Kilo, die ich geschafft hatte.
Doch lange halten konnte ich das neue Gewicht nicht. Nach etwas mehr als einem
halben Jahr wog ich etliche Kilos mehr, als noch vor dieser Diät. Und nach
jeder weiteren Diät, brachte ich noch mehr Gewicht auf die Waage als zuvor. Ich
nahm zu und zu und zu . . . ein Teufelskreislauf.
Ich saß immer gerne am Boden, nur in letzter Zeit nicht mehr. Nicht, weil ich
das nicht mehr gerne machen würde, sondern weil das Aufstehen danach eine echte
Herausforderung für mich geworden ist. Manchmal dauert es ein paar Minuten, bis
ich endlich wieder auf zwei Beinen stehe und mir ist dann nicht selten schwarz
vor Augen. Beim Stiegensteigen komme ich nicht weit, ohne dass mir die Zunge
heraus hängt und auch sonst fühlte ich mich krank und völlig erschöpft.
Mir war klar, dass ich so nicht weiter machen konnte. Aber was sollte ich tun?
In einem Zeitungsartikel einer renommierten österreichischen Tageszeitung las
ich vor ein paar Wochen, dass man angeblich bei so starkem Übergewicht, wie ich
es hatte, nicht mehr als 20 bis 25 Kilo aus eigener Kraft abnehmen könne - dann
sei Schluss. Irgendetwas am Stoffwechsel sollte sich bei stark übergewichtigen
Menschen so weit verändert haben, dass es unmöglich wäre, mehr abzunehmen – so
zumindest die Meinung eines österreichischen Wissenschaftlers - einem
anerkannten Science Buster, der sich selbst einer Magen-Bypass-OP unterzogen
hat, um wesentlich an Gewicht zu verlieren. Das war doch der beste Beweis,
dass es gar keinen Sinn hatte abzunehmen. Denn mehr als 25 Kilo würden es eh
nicht werden und das war für mich einfach zu wenig – liebe Grüße an dieser
Stelle an Sie, Herr Mag. Werner Gruber. Vor einer Operation hatte ich viel zu
viel Angst. Das war vielleicht meine einzige Chance Gewicht zu verlieren, aber
leider keine Option für mich . . .
Ich bin spät dran, steige in den Lift. Drin steht irgendein Mann von oben in
einem schwarz-grauen Arbeitsgewand. Ich realisiere ihn nicht weiter. Ich murmle
gedankenversunken „Morgen.“. Er erwidert mein „Morgen“, aber ich höre es kaum.
Ich drücke auf den Knopf vom Lift auf „K“. Ich muss in die Garage zu meinem Auto.
Eine mühsame Fahrt in die Arbeit steht mir bevor. Draußen schüttet es und es
weht starker Westwind. Unangenehm zum Fahren. Ich bin ohnehin müde, habe diese
Nacht wieder einmal schlecht geschlafen. Das einzige, was mich aufmuntert ist,
dass heute schon Donnerstag ist. Ich freue mich auf das kommende Wochenende mit
meinem Sohn. Ich habe mir eine Überraschung für ihn überlegt und stelle mir
seine großen Augen vor, wenn er sich darüber freut. Unwillkürlich erscheint ein
Lächeln auf meinem Gesicht, während ich auf den Boden vom Lift blicke und vor
mich hin träume.
Ein „Na dann, geh´ mas wieder an“ reißt mich aus meinen Gedanken. Ich
blicke zu dem Mann neben mir hoch und bemerke ihn jetzt erst so richtig. Ich
antworte: „Ja, aber heute ist eh schon Donnerstag.“. Er: „Gott sei Dank!“. `Ja,
Gott sei Dank! Dem kann ich nur zustimmen`, denke ich. Dann ist der Lift auch
schon im Erdgeschoß angekommen. Die Tür öffnet sich mit einem lauten Ruck –
viel zu laut für meinen Geschmack um diese Uhrzeit – und der Nachbar steigt
mit den Worten: „Einen schönen Tag! Auf Wiedersehen!“ aus. Ich erwidere knapp:
„Ebenfalls!“ und „Tschüss!“ und drücke auf den untersten Knopf auf dem
Bedienelement des Aufzugs, damit sich die Tür schneller wieder schließt. Mir
fällt dabei gar nicht auf, dass ich „Tschüss“ und nicht „Auf Wiedersehen“
gesagt habe. Was ich jetzt noch nicht weiß: Heute ist der Tag, an dem sich mein
ganzes Leben verändern wird. Danach vergehen sicher zwei oder drei Wochen bis
ich den Mann wieder sehe – zufällig . . . im
Lift . . .
Es ist diesmal ein Dienstag. Ich bin in Gedanken schon bei der Arbeit. Ein
anstrengender Tag wird das wieder werden, das weiß ich jetzt schon und mir
graut richtig davor. Ich stehe vor dem Lift und suche in meiner Handtasche das
Handy. `Habe ich es jetzt liegen lassen?`, überlege ich und krame in der Tasche
herum, bis ich mit meinen Fingern etwas hartes berühre. `Ah nein, da ist es
ja´, stelle ich gerade erleichtert fest, als mich Geräusche von oben aufhorchen
lassen. Schlüssel scheppern, eine Tür wird abgeschlossen und jemand geht mit
großen Schritten zum Lift. Ich drücke auf den Liftknopf und warte. Von oben
höre ich leises Schlüsselklimpern. Der Lift fährt an mir vorbei ins
Dachgeschoß. Ich kann hören, wie sich die Tür ein Stockwerk höher öffnet und
jemand einsteigt. Mit einem dumpfen Geräusch schließt sich Sekunden später die
Tür und springt vor mir wieder auf.
Im Lift steht der Mann von vor ein paar Wochen. Er schaut mich freundlich an
und sagt wieder „Morgen“ zu mir. „Morgen“, erwidere ich und bleibe kurz an
seinem Blick hängen, der immer noch mir gilt. Mir fällt dabei ein leichtes
Lächeln auf seinen Lippen auf. Ich drücke den Knopf „K“ auf dem Bedienelement
während sich die Tür hinter mir schließt. Ich schaue den Nachbarn an. Er blickt
jetzt zur Stockwerkanzeige vom Lift über der Tür und ich betrachte sein
Gesicht. Seine Haut ist an den Wangen etwas narbig. Man sieht das trotz des Dreitagebarts darüber. Seine Lippen sind schmal und seine Augen
klein, die Wimpern kaum sichtbar und die Haare am Kopf hellbraun und sehr kurz.
Sein Körper ist muskulös, das kann man trotz Jacke darüber deutlich sehen.
`Groß ist er´, denke ich mir gerade, als er wieder zu mir schaut. Er kramt
dabei seinen Schlüsselbund aus der Jackentasche, sein Blick wandert kurz zu
Boden, bevor er mich wieder anschaut und sagt: „Geh´ mas wieder an?“.Ich muss
lächeln und sage: „Ja und heute ist erst Dienstag. Da haben wir noch ein
bisschen etwas vor uns diese Woche.“ „Ja, leider“, erwidert er mit einem
Seufzen. Er spricht stark Dialekt fällt mir in diesem Moment auf. Ich: „Na, die
Zeit wird auch vergehen.“ Er: „Hoffentlich.“ Dann hält der Lift auch schon
wieder im Erdgeschoß. Der Mann blickt noch einmal kurz zu mir bevor er
aussteigt und sagt: „Einen schönen Tag. Auf Wiederschauen“. Ich antworte:
„Danke, ebenfalls! Tschüss!“.
Als sich die Tür schließt merke ich, dass ich immer noch lächle. Ich sehe sein
Gesicht noch vor mir, obwohl er schon ausgestiegen ist. `Irgendwie ist er
interessant´, überlege ich, während ich aus dem Lift steige, die Tür zur Garage
aufsperre und zu meinem Auto gehe. Ich habe das Gefühl, ihn gut zu kennen, als
wären wir alte Freunde. Ich setze mich in mein Auto und fahre Richtung
Autobahn. Ich denke immer noch an ihn und unsere Begegnung von vorhin im Lift.
`Komisch, warum beschäftigt mich dieser Mann?´, frage ich mich selbst. Ich weiß
es nicht. Ich weiß nur eines mit Sicherheit: Ich werde mich nie wieder in einen
Mann verlieben. Nie mehr! Mit dem Thema bin ich durch – ein für allemal! Da bin
ich mir hundertprozentig sicher. Im Radio läuft „
OK“ von
Robin Schulz
`. Irgendwie klingt die Musik heute besser, aber ich hätte jetzt
nicht sagen können warum . . .
Am nächsten Morgen ertappe ich mich dabei, dass ich kurz zögere, als ich vor
dem Lift stehe. Habe ich oben etwas gehört? Ich lausche. Nein, das war nur der
Wind. Ich drücke auf die Taste und der Lift kommt und bleibt gleich in meinem
Stockwerk stehen. Ich steige ein. Ich fahre allein in die Garage zu meinem
Auto. Als ich aus der Garage rolle, halte ich auf dem Gehsteig kurz an, um das
Radio einzuschalten. Mein Seitenfenster im Auto ist noch geöffnet und mir
schlägt eiskalte Luft entgegen. Heute ist es schon echt kalt. Dabei haben wir
erst Anfang Oktober. Schnell kurble ich die Scheibe hoch. Dabei fällt mir im
Augenwinkel auf, dass jemand aus unserer Hauseingangstür kommt und auf die
Straße tritt. Ich drehe meinen Kopf nach rechts und da ist er wieder: der Mann
aus dem Lift. Als er mich im Auto sieht, winkt er mir mit einem Lächeln
freundlich zu, während er über die Straße geht und bei einem Auto stehen
bleibt, das mir schon seit einiger Zeit aufgefallen ist: ein kleiner weißer
Firmenwagen mit auffälliger Bedruckung. Die
Blinker leuchten kurz auf und das Licht im Auto geht an. Er öffnet die Tür und
steigt ein. „Ah, das ist also dein Auto“ , murmle ich und fahre mit meinem
Wagen zur Kreuzung nach vor. Im Radio spielt „
Call on Me“
von Starley.
Ich bleibe an der roten Ampel stehen, bei der ich immer wende, um den kürzesten
Weg zur Autobahn von hier zu fahren. Ich beobachte den Wagen über meinen linken
Seitenspiegel. Die Scheinwerfer und Rücklichter leuchten schon. Das Auto blinkt
und parkt gerade langsam aus, als das Licht meiner Ampel auf Grün umspringt.
Ich fahre los und drehe um. An der nächsten roten Ampel bleibe ich neben
seinem Auto stehen. Ich schaue zu ihm rüber. Er sitzt im Auto, blickt zu mir,
lächelt mich an, haucht in seine Hände und reibt sie aneinander. Er trägt jetzt
eine Brille. Ich lächle kurz zurück und schaue dann wieder nach vorne. Es ist
mittlerweile grün geworden und ich düse los. Er fährt langsamer als ich. Unser
Abstand vergrößert sich. Ein Stück weiter stadtauswärts wechsle ich auf seinen
Fahrstreifen - ich muss an der nächsten Ampel rechts abbiegen. Die Ampel ist
rot. Ich halte an und blicke in den Rückspiegel. Sein Wagen steht direkt hinter
mir. Ich vermeine immer noch ein Lächeln in seinem Gesicht zu sehen, bevor er
sich eine Zigarette anzündet. Ich biege ab und im Rückspiegel kann ich sehen,
dass er mir folgt. Ich fahre etwas langsamer. Ich bin neugierig, wie weit wir den
gleichen Weg haben. Ein Stück fahren wir noch gemeinsam, dann muss ich mich
links zum Abbiegen in Richtung Autobahn einreihen. Ich wechsle auf die
Abbiegespur. Er fährt an mir vorbei, gerade weiter. Er winkt mir dabei lächelnd
kurz zu. Ich hebe meine Hand und winke ihm zurück. `Aha, hier trennen sich
unsere Wege´, stelle ich fest und warte bis ich Grün bekomme und meine Fahrt
fortsetzen kann. Die Gedanken an diesen Mann lassen mich heute die ganze Fahrt
nicht mehr los. `Ist da etwas?´, überlege ich. `Ach quatsch, das bildest du dir
nur ein . . . das ist nur ein Nachbar, der nett ist.
Welcher Mann würde sich schon für eine Frau, mit meinem Aussehen interessieren?
Mach dich bitte nicht lächerlich`, sage ich zu mir und betrachte mein Gesicht
im Rückspiegel. Früher war ich wirklich hübsch und schlank, doch das ist lange
her – an die zehn Jahre. Eine Ewigkeit! Die Kilos aus der Schwangerschaft und
von so einigen erfolglosen Diäten danach haben ihre Spuren hinterlassen.
„Höchste Zeit, dass du endlich abnimmst . . .“, flüstere ich meinem Spiegelbild
im Rückspiegel zu. Aber wie oft habe ich das schon versucht und bin jedes Mal
wieder gescheitert, um nachher noch mehr Kilos zu haben, als vorher
. . . eine neue Diät kam nicht in Frage . .
. noch nicht . . .
Es ist noch ganz dunkel draußen, als ich aufwache. Ich drehe mich auf die
Seite und versuche wieder einzuschlafen, aber irgendwie finde ich keinen Schlaf
mehr. Ich denke an den Nachbarn von oben. Ob wir uns heute wieder sehen? Das
letzte Mal ist schon ein paar Tage her. Ich schaue mit zusammengekniffenen
Augen zur Uhr neben meinem Bett. Die Leuchtziffern zeigen 04:48 Uhr. OK, jetzt
muss ich ohnehin bald aufstehen. Ich drehe mich auf den Rücken und lege meinen
Unterarm über meine Augen. ´Warum muss ich jetzt an diesen Mann denken?´, frage
ich mich und schüttle verwundert über mich selbst den Kopf. Irgendwie lässt er
mich nicht mehr los. `Was ist das nur?´, überlege ich als ich mich im Bett
aufsetze. `Du wirst dich doch nicht verliebt haben?´, frage ich mich selbst im
Scherz .´Pah! So ein Quatsch! Nie im Leben!!! Mit dem Thema Männer bin ich ein
für alle Mal durch!´. Ich schaue wieder zur Uhr: 04:59 Uhr. Schlafen kann ich
jetzt eh nicht mehr, also stehe ich auf.
Ich schwanke ins Badezimmer, drücke auf den Lichtschaler, gähne, strecke mich
und betrachte mein verknittertes Gesicht und meine völlig zerrauften Haare im
Spiegel: ein lustiger Anblick. Ich puste eine Haarsträhne aus meinem Gesicht
und denke mir: `Wenn er mich jetzt so sehen könnte, würde er schreiend davon
laufen´, und muss schmunzeln. `Aber das lässt sich ja ändern . . .´. Ich springe
in die Dusche, frisiere meine Haare, drehe die Spitzen mit Fön und Bürste ein,
putze meine Zähne, schminke mich sorgfältig und betrachte das Ergebnis, mit
einem zufriedenen Lächeln im Spiegel. ´Na bitte, geht doch. Wenn ich nur nicht
so dick wäre´, seufze ich und beginne mich anzuziehen. Dabei fällt mir gar
nicht auf, dass ich schon wieder an den Nachbarn denke. Kaum fertig warte
ich ungeduldig auf meinen Vater, der in der Früh immer kommt, um meinen Sohn
später in die Schule zu bringen, damit ich zur Arbeit kann.
Ich öffne die Eingangstür zur Wohnung und lausche. Alles ruhig. Auf
Zehenspitzen schleiche ich zum Fenster am Gang und schaue nach oben. `Ist da
vielleicht jemand? Ist da jemand der mein Herz versteht und der mit mir bis ans
Ende geht. Ist da jemand, der noch an mich glaubt, ist da jemand, ist da
jemand . . . der mir den Schatten von der Seele
nimmt . . .´, singe ich leise vor mich hin. Aus einem Dachfenster
sehe ich einen hellen Lichtstrahl nach außen dringen. `Wer da wohl wohnt?
Vielleicht er?`, überlege ich und gehe wieder zurück. Ich schließe die Tür
leise hinter mir. Ich blicke auf die Uhr - Zeit sich zum Gehen fertig zu
machen. Ich schließe meine Gürtelschnalle und ziehe meine Jacke über. Im
nächsten Moment kommt mein Vater auch schon. Wenig später bin ich ready. Ich
schlüpfe in meine Stiefel und betrachte mein Spiegelbild noch einmal kurz im
Spiegel auf dem Kasten im Vorzimmer. Ich bin zufrieden mit dem, was ich da im
schwachen Licht sehe, nehme meine Handtasche und einen Packen Zeitungen, den
ich noch zum Müll bringen muss und ziehe die Wohnungstür hinter mir zu.
Oben höre ich plötzlich wieder Geräusche und bleibe vor dem Lift stehen. Ich
lausche und wage kaum zu atmen. Jemand sperrt eine Tür von innen auf, die Tür
öffnet sich, fällt wenig später ins Schloss und dann ist das Sperren der
Schlüssel von außen zu hören. `Perfekt, das muss er sein`, denke ich und kann
eine gewisse Freude nicht leugnen. Ich warte kurz und erst als ich
Schritte zum Lift gehen höre, drücke ich auf den Rufknopf vom Aufzug. Der Lift
setzt sich in Bewegung. Sekunden später höre ich, dass auch oben jemand den
Knopf vom Lift drückt. Irgendwie bin ich aufgeregt. Ich atme noch einmal tief
durch und dann springt die Aufzugstür auch schon vor mir auf. Ich schaue zur
linken Seite und da steht er wieder. Ich steige ein. Nach der üblichen
Begrüßung sage ich nichts. Heute blicke ich etwas verlegen zur digitalen Stockwerksanzeige
und schaue der Vier zu, wie sie sich in eine Drei verwandelt. Ich bemerke
dabei, dass der Mann mich von der Seite anschaut. Mir fällt auf, dass er heute
extrem gut riecht. Ich schließe meine Augen und Atme den Duft tief ein bevor
ich sie wieder öffne und zu ihm blicke. Er lächelt und sagt das übliche: „Geh´
mas wieder an?“. Ich muss dabei ebenfalls lächeln und sage: „Ja, müssen wir
wohl.“. Er blickt kurz zu Boden und als er wieder hoch schaut, sagt er beim
Blick auf die Bedienleiste des Aufzugs: „Sie müssen noch drücken!“. Ich: „Nein,
ich muss heute noch zum Müllraum.“ Und während ich das sage nehme ich den
Packen zusammengefalteter Zeitungen aus meiner Handtasche. Er schaut kurz
darauf und streckt seine Hand danach aus: „Das kann ich gleich mitnehmen und
rein werfen, wenn Sie wollen.“
„Oh danke! Ja, gerne. Das ist aber nett!“, stammle ich völlig überrascht.
Während er nach den Zeitungen greift schauen wir uns kurze Zeit in die Augen.
Die Aufzugstür öffnet sich und das war es wieder für heute. Ein kurzes
„Tschüss!“ noch von beiden Seiten und schon ist alles vorbei. Die Tür vom
Aufzug knallt zu und der Lift fährt mit mir ein Stockwerk tiefer.
Von Ketose, Ketogener Ernährung und Ketonkörpern habe ich zu diesem Zeitpunkt
noch nie etwas gehört. Ich ahne zu dieser Zeit nicht, dass diese Sachen mein
Leben in Kürze komplett verändern werden . . .
doch das sollte sich bald ändern . . .
Am nächsten Morgen freue ich mich auf unser Treffen im Lift. In der Nacht
hat es zu schneien begonnen – der erste Schnee dieses Winters! Als ich die
Jalousie im Schlafzimmer hoch ziehe, sehe ich, dass alles von einer circa zehn
Zentimeter dicken Schneeschicht überzogen ist. Ich laufe ins Badezimmer und
mache mich schnell fertig. `Hoffentlich geht er heute nicht früher´, mache ich
mir Sorgen und beeile mich. ´Wenn ich mein Auto noch vom Schnee befreien müsste
und die Straßen so rutschig wie heute sind, dann würde ich etwas früher
weggehen.´. Es ist 15 Minuten vor sechs als ich fertig bin. Ich gehe zum
Fenster im Schlafzimmer und schaue auf die Straße hinunter. Sein Auto steht
noch da. Dann laufe ich wieder ins Vorzimmer und öffne die Eingangstür einen
Spalt. Oben höre ich Schlüsselklimpern und das Licht im Stiegenhaus geht
an. `Oh nein, hoffentlich ist er das jetzt nicht`, bange ich und lausche.
Ich höre schwere Schuhe über den Gang zum Lift gehen. `Mist, ich fürchte, das
ist er!´
Ich schließe die Türe ganz leise und laufe ins dunkle Wohnzimmer. Ich will
gerade zum Fenster, als meine Schritte plötzlich durch einen stechenden Schmerz
unter meiner rechten Fußsohle gebremst werden. Ich bin auf etwas Hartes und
Spitzes getreten. Der Schmerz lässt mich zusammen zucken. Oh, tut das weh. Ich
hebe den Fuß und fasse mit meiner Hand zur schmerzenden Stelle. Ich taumle
einen kleinen Schritt mit dem anderen Bein nach hinten. Im nächsten Moment
spüre ich auch unter der anderen Fußsohle etwas Hartes, Spitzes. ´Oh Gott, was
ist denn da?´, frage ich mich genervt, während ich wieder einen weiteren
Schritt nach hinten wanke. Ich falle fast hin. Ich schaue zu Boden und erkenne
in der Dunkelheit einen Drachen von Manuel auf dessen spitzen stechenden
Plastikschwanz ich getreten bin. Ich schiebe das Ungetüm leise fluchend mit dem
Fuß zur Seite und humple zum Fenster. Ich schaue auf die verschneite Straße
hinunter. Der Wagen steht noch auf der anderen Straßenseite. Ich würde schon
so gerne gehen, aber mein Vater ist noch nicht da. Nervös blicke ich auf meine
Uhr. Bestimmt kommt er heute auch noch später als sonst. Wäre bei dem Wetter
kein Wunder.
Und während ich das noch denke sehe ich den Nachbarn von oben auch
schon über die Straße zu seinem Auto gehen. Die Lichter vom Wagen blinken
kurz, das Licht im Auto geht an und er öffnet die Tür. Dann beugt er sich
hinein und ich kann seinen Hintern betrachten. ´Mhhhh, nett´, denke ich mit
einem Lächeln im Gesicht. Lange bleibt mir allerdings nicht, mich an dem
Anblick zu erfreuen. Er holt einen Schneebesen heraus und beginnt damit, den
Wagen abzukehren. Dann bleibt er kurz mit dem Rücken zu mir stehen und hantiert
mit irgendetwas vor seinem Gesicht herum. Als er sich wieder dem Abkehren des
Autos zuwendet sehe ich eine Rauchwolke aufsteigen. Er hält eine Zigarette in
der anderen Hand und bläst eine weiße Rauchwolke aus. Während ich ihm zuschaue
höre ich draußen die Eingangstür. Mein Vater ist da. Ich sprinte ins Vorzimmer
hinaus. „Guten Morgen, gut, dass du schon da bist. Ich muss jetzt auch gleich
weg. Die Straßen sind ja überhaupt noch nicht geräumt.“
„Ja, es ist ziemlich rutschig draußen. Die U-Bahn hat heute auch so lange
gebraucht. Ich bin extra 30 Minuten früher gegangen und doch jetzt erst da",
antwortet mein Vater. Ich sage noch: „Passt schon. Wenn ich jetzt gleich
fahre, dann geht das schon“, ziehe meine Jacke über, schlüpfe in meine Schuhe,
schnappe meine Handtasche und stürme hinaus zum Lift.
Ich drücke den Knopf und die Tür springt gleich auf. Der Aufzug ist noch da.
Ich kann es gar nicht erwarten, bis ich endlich in der Garage bin. Ich steige
ein und rieche den gleichen Duft wie gestern: sein Parfum. Ich schließe die
Augen und atme ganz tief ein. Nach einer Weile öffne ich sie wieder und sehe
auf der Stockwerkanzeige eine Zwei erscheinen. `Komm schon, wie lange dauert
das heute?´, denke ich ungeduldig und zapple mit den Füßen herum. Die Fahrt,
die mir sonst im Lift so kurz vorkommt, dauert heute eine gefühlte Ewigkeit. Endlich
öffnet sich die Lifttür. Hastig sperre ich die Tür zum Keller und zur Garage auf
und sehe, dass meine Rampe oben ist. Mist! Jetzt muss ich die erst runter
stellen. Nervös krame ich nach dem kleinen Schlüssel auf meinem Schlüsselbund.
Endlich erwische ich ihn und stecke ihn mit völlig zittrigen Fingern ins
Schloss. Die Rampe schwenkt sich langsam nach unten.
Oh, das kostet Zeit! Viel Zeit! Ungeduldig schaue ich dem Auto zu, wie es
langsam nach unten kommt. Vielleicht geht es sich noch aus. Ein paar Minuten
später ist die Rampe am Boden angekommen und ich springe in meinen Wagen. So
schnell es geht fahre ich aus der Garage. Ich schaue auf die andere
Straßenseite. Der Platz, an dem sein Auto gestanden ist, ist schon leer.
Enttäuscht starre ich auf die leere Parklücke. Er ist schon weg. Ich schaue in
die andere Richtung und kann seinen Wagen auch stadteinwärts nirgends mehr sehen.
Langsam rolle ich zur Ampel nach vor. Heute ist es wirklich rutschig. Schnell
hinterher fahren kann ich ihm da nicht. Aber ich weiß: Irgendwann sehen wir uns
wieder! Ganz bestimmt . . .
Ich eile aus der Wohnung. Ich höre, dass der Lift gerade fährt und drücke hastig auf den Knopf. Gerade noch erwischt – ein paar Sekunden später bleibt er auch schon stehen, die Tür öffnet sich und wer steht da lässig an die eine Wand vom Aufzug gelehnt? Der Nachbar von oben, um den sich meine Gedanken schon eine Weile drehen! Heute trägt er eine orangefarbige Wolljacke mit grauen Reflektor-Streifen über seiner Arbeitskleidung. Als ich auf „K“ drücken will, sehe ich, dass der Knopf schon gedrückt ist. Ich muss lächeln und sage: „Morgen! Da hat ja jemand schon für mich gedrückt!“. Er schaut mich an, erwidert mein „Morgen!“ und sagt: „Ja, ich hab Sie schon gehört.“. Dann ist kurz Stille. Diesmal beginne ich das Gespräch: „Auch immer so früh unterwegs?“. Er antwortet: „Ja, wir gehen wohl immer zur selben Zeit weg“, und schaut dabei auf seine Armbanduhr. „Aber jetzt geht es eh noch. Ab nächstem Jahr muss ich dann immer noch viel früher aufstehen. Da fahren wir schon um vier Uhr nach Salzburg.“. `Wie bitte? Was hat er da gerade gesagt???´, fährt es wie ein Messer durch meine Gedanken. Seine Worte hallen in meinem Kopf. `Vier Uhr! Salzburg! Was?! Salzburg? Aber dann sehen wir uns ja gar nicht mehr. . . ´. Ich bin völlig verwirrt. Ich sammle mich wieder und sage: „Oh, bis nach Salzburg, das ist aber weit. . .“. Er schüttelt den Kopf und sagt: „Ja, und das für ein ganzes Jahr. Ein Wahnsinn ist das!“. Ich wiederhole geschockt: „ . . .ein ganzes Jahr. . .das ist aber wirklich lange.“. Er: “Ja, aber was soll man machen.“. Im nächsten Moment springt die Tür vom Lift auf - mitten in unserer Unterhaltung. Ich frage noch schnell: „Aber da fahrt ihr nicht jeden Tag hin und her, oder?“. Er bleibt in der Tür vom Lift stehen, dreht sich um und antwortet mit einem großen Seufzer: „Nein, da bleiben wir bis Donnerstag oder Freitag dort. Ich weiß noch nicht genau . . .“. Die Tür vom Lift setzt sich in Bewegung. Er geht einen Schritt zurück und sagt noch zu mir: „Einen schönen Tag.“ Ich stottere: „Ja, aaaauch einen schschönen Tag.“ Dann schlägt die Aufzugstür mit einem Ruck zu. Ich bleibe völlig durcheinander alleine im Lift zurück. Ich bin verwirrt über das, was ich da gerade gehört habe, vor allem aber über meine Reaktion und Gefühle dazu. Ich versuche das abzuschütteln und zu verdrängen und verlasse ganz in Gedanken Wien. Ein schöner Tag wird das heute aber nicht mehr für mich . . .
An einem kalten Morgen ein paar Tage später . . .
Um ihn heute zu treffen, stehe ich jetzt schon 17 Minuten auf dem kalten,
dunklen Gang und warte. Irgendwie verrückt, oder?! Aber ich habe ihn schon
länger nicht gesehen. Ich höre vom oberen Stock in einer Wohnung etwas mit einem
lauten Krach umfallen, bevor sich eine Tür öffnet. So laut ist man nicht, wenn
da noch jemand schläft. Mit fällt jetzt auch auf, dass er die Tür laut von außen wieder zusperrt. Er wohnt also alleine vermute ich, sonst würde er die
Tür auch nicht immer so laut zuwerfen und absperren. `Sehr schön!´, denke
ich und muss vor Freude über diese Tatsache schmunzeln. Aber 100 %ig sicher bin
ich mir natürlich nicht. Ich muss herausfinden, wo er genau wohnt, dann ist der
Rest leichter. Mit fällt auf, dass er vom Gang hinten kommt. Ich kann es kaum erwarten zu hören, dass er den Liftknopf
drückt. Erst danach drücke ich bei mir. `Hoffentlich riecht man mein Parfum
nicht bis oben . . . `, überlege ich noch und muss kichern, als bereits
der Lift in meinem Stockwerk hält. Die Tür öffnet sich und er steht drin. Ich
strahle ihn an und sage das übliche „Morgen“. Er blickt mir in die Augen und
sagt ebenfalls „Morgen“. Ich rieche sein Parfum wieder und bin wie betäubt
davon. Ich sammle mich schnell und frage ihn: „Jetzt geht es bald nach Salzburg,
oder?“ Er erwidert: „Nein, eine Weile bin ich noch da. Das verzögert sich zum
Glück.“. Dann schauen wir uns einfach nur schweigend an - beide mit einem
breiten Lächeln im Gesicht.
Während bereits die Lifttür im Erdgeschoss
aufspringt frage ich noch: „Was macht ihr dort eigentlich?“ Er ist schon
ausgestiegen, dreht sich um und antwortet: „Liftanlagen einbauen . . .“
Die Lifttür setzt sich in Bewegung. Er hat einen zusammengerollten Prospekt in
der Hand und blockiert damit schnell die Lichtschranke, während er weiter
erzählt, „. . . das ist ein großes Projekt: 35 Wohnhäuser. Darum dauert
es auch so lange.“ Die Tür bleibt halb offen stehen. Ich sage: „Aha,
interessant.“ Er betätigt den Stop-Hebel einmal rauf und wieder runter und
drückt wieder auf „K“. Ich sag noch „Tschüss!“ und er auch. Dann setzt sich die
Tür wieder in Bewegung und schließt sich ganz. Ich sehe dabei noch, dass er
stehen bleibt und mich mustert, bis die Tür uns trennt. Ich freue mich: noch
etwas Zeit! Super! Da können wir uns noch sehen – wie schön! Die Sache fängt
langsam an Spaß zu machen. Habe ich mich etwa verliebt? Ich? Nein! Bestimmt
nicht! Aber nett finde ich die Unterhaltungen mit ihm schon, das muss ich
zugeben, aber mehr nicht. Und sein Gesicht bleibt mir heute noch lange in
Erinnerung - ein bisschen flirten kann ja nicht schaden. Es ist ja nichts
Ernstes – nur ein Spiel . . . .
Oder doch nicht . . . ?
Ich stehe im Lift. Ich schaue in seine blauen Augen – ganz tief. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich bin unfähig mich zu bewegen. Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn er mich liebt und beiße unbewusst auf meine Unterlippe. Ich stehe da und blicke ihn an – seine Augen, seine Wangen, seine Lippen. Ich sehe ein Lächeln in seinem Gesicht und spüre plötzlich, dass er meine Hand nimmt. Ich kann es nicht glauben, muss mich vergewissern. Mein Blick gleitet nach unten zu unseren Händen. Ich sehe seine Finger, die sich um meine gelegt haben. Die Tür vom Aufzug öffnet sich, aber ich bemerke es nicht. Ich sehe nur unsere Hände. Die Zeit scheint still zu stehen. Er drückt meine Hand und flüstert mir zu „Komm. . .“. Ich schaue wieder zu ihm hoch – direkt in seine Augen. Er zieht mich aus dem Lift und ich folge ihm. Ich weiß nicht, wohin wir gehen. Es ist egal . . .
Ich laufe neben ihm her – schwerelos – ich strahle ihn an und sehe nur ihn. Ich habe das Gefühl zu fliegen. Ich höre ein Piepsen. Es wird lauter. Mein Handy. Ich bleibe stehen, schließe meine Augen und greife an meine Hosentasche. Ich suche mein Handy, aber da ist nichts – auch nicht in der anderen. Ich öffne meine Augen wieder. Alles um mich herum ist jetzt dunkel. Es dauert ein paar Sekunden bis ich etwas sehen kann. Er ist weg, ich bin alleine, nur das Piepsen ist immer noch da. Ich blicke mich verwirrt um. Erst jetzt realisiere ich: das war alles nur ein Traum – ein wunderschöner Traum! Ich seufze und muss gleichzeitig lächeln. Ich greife nach meinem Handy und drücke den Wecker weg. Ich lasse meinen Kopf nochmals auf das Kissen zurück fallen. Ich erinnere mich an diesen wunderschönen Traum und schließe noch einmal kurz meine Augen. Ich sehe sein Gesicht vor mir und ein Gefühl von Glück und Wärme durchflutet meinen Körper. Ich vermeine immer noch seine Hand an meiner zu spüren, obwohl er sie nie gehalten hat. Ich sehe seine blauen Augen vor mir und drifte ab, bis mich das erneute Piepsen meines Handys zurück in die Realität holt. Es ist Montagmorgen und ich muss aufstehen. Ich schalte den Wecker aus und stehe auf. Auf Wolke sieben schwebe ich ins Bad und mache Licht. So leicht wie in den letzten Tagen bin ich noch nie aufgestanden, stelle ich fest. Ich bin gespannt: Sehen wir uns heute oder nicht? Na, wenn ich warte, sicher. Und das werde ich, wenn es sein muss - was für eine Frage! Schnell springe ich in die Dusche und mache mich fertig. . .
Ich stehe gerade hinter der Eingangstür, die ich schon einen Spalt geöffnet habe, als ich oben das Sperren von Schlüsseln höre. `Oh Gott, heute ist er aber früh dran´, schießt es mir durch den Kopf. `Jetzt aber schnell!´ Zum Glück ist mein Vater schon da und ich kann gehen. Hastig ziehe ich mir meine Jacke über, schnappe meine Handtasche und stürme mit offenen Reißverschlüssen an den Stiefeletten auf den Gang zum Lift. Zum Zuziehen ist keine Zeit mehr. Mist! Fast wäre ich umgeknöchelt – ich bin eh noch etwas wackelig auf den Beinen in den neuen hohen Schuhen und mit den offenen Reißverschlüssen ist es noch schwieriger damit zu laufen. Ich habe gerade noch Zeit, mir die Hosenbeine über die Stiefel zu ziehen, bis sich die Lifttür öffnet. Ich steige ein und werfe meine Haare zurück. Ich lasse mir nicht anmerken, dass ich mit offenen Schuhen da stehe. ‚Hoffentlich sieht er das nicht´, denke ich und muss lächeln. Ich schaue zu ihm, er lächelt zurück und sagt: „Geh ma´s wieder an?!“ Ich antworte: „Ja, gern! Was würde Ihnen vorschweben?“. Ich zieh die Augenbrauen hoch und schaue ihn mit einem Schmunzeln fragend an. Er schüttelt leicht den Kopf und lächelt verlegen. Er schaut kurz zu Boden und sagt dann: „Ich meine die Arbeit.“ Ich: „Ach so. Da würde mir aber etwas Besseres einfallen.“ Ich lache ihn an und zwinkere ihm zu. Er schaut verlegen weg. Ich betrachte ihn. Sein Lächeln, seinen Blick, seine Arbeitskleidung. ‚Schon irgendwie sexy´, denke ich gerade, als er mich wieder anschaut. Er sagt noch „Einen schönen Tag!“, dann steigt er auch schon wieder aus. Der Lift hat in der Zwischenzeit angehalten.
Ich muss noch den ganzen Weg in die Arbeit an unsere Unterhaltung denken und lächle dabei unentwegt. Ich denke ständig an ihn! Ja, ich habe mich verliebt! Da sind Schmetterlinge in meinem Bauch! Es ist nicht mehr zu leugnen. So viele! Und wie toll dieses Gefühl ist! Ich hatte ganz vergessen, wie schön das sein kann. Ich habe plötzlich volle Motivation abzunehmen. Ich will wieder so fesch und schlank sein wie früher. Ich will es noch einmal wissen. Ich will wissen, ob ich dem Nachbarn, der eigentlich überhaupt nicht meinem Typ Mann entspricht, den Kopf verdrehen kann. Die freche Nadine von früher ist zurück . . . aber noch schaffe ich es nicht mein Gewicht zu reduzieren, doch das sollte sich schon sehr bald ändern . . .
'Worüber werden wir heute reden?´, überlege ich ganz in Gedanken, während ich vor dem Lift stehe und merke, wie mir das Herz bis zum Hals schlägt. Meine Hände sind feucht und meine Knie zittrig. Ich drifte in den Tunnel. Das Geräusch der sich öffnenden Aufzugstür reißt mich aus meiner Starre. Ich sehe ihn und ahne noch nicht, dass wir heute nicht viel reden werden. Er lehnt in der einen Ecke vom Lift, ich gehe zur gegenüberliegenden und schaue ihn an. Sein Blick ist zu Boden gesenkt. Er wirkt nachdenklich. Keiner von uns sagt etwas. Ich betrachte ihn stumm. Ganz alleine und verloren erscheint er mir heute. Ich schaue ihn einfach nur an. Ich will ihn fragen: `Sag mir, wie lange wir hier noch so stehen, bis wir endlich so weit sind, dass wir uns in die Augen sehen . . .´.
Ich kann meine Augen nicht von ihm abwenden, bis er seinen Kopf in meine Richtung dreht und sich unsere Blicke treffen. Für ein paar Sekunden schaut er mich mit einem ganz besonderen Blick an. Die dicke Glaswand, die sonst zwischen uns steht und alles verschwommen macht, scheint weg zu sein – geschmolzen wie Eis in der Sonne - alles ist auf einmal so klar. Und da ist plötzlich so viel, was ich in diesem kurzen Augenblick in seinen Augen sehen kann. Da ist so viel Sehnsucht in seinem Blick. Ich weiß plötzlich genau, wie es wäre, wenn er mich liebt. Er ist der lebende Beweis, dass es für mich noch Liebe gibt, obwohl ich daran nicht mehr geglaubt habe. Ich kann seine Farben sehen, so leuchtend hell, wie ein Stern, der ganz alleine durchs Weltall fliegt. Ich habe das Gefühl einen Seelenverwandten getroffen zu haben, den ich schon ein Leben lang gesucht habe und der jetzt endlich vor mir steht. Eine unerklärliche Vertrautheit liegt in der Luft, als würden wir uns schon ewig kennen. Das was uns verbindet ist so viel mehr als wir verstehen. Und ich hauche ihm ganz leise und vorsichtig ein „Hallo“ zu – ich kann nicht anders und ich habe das Gefühl den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ich entdecke ein Lächeln auf seinen Lippen und vermeine zu hören, dass er mein „Hallo“ mit zitternder Stimme leise erwidert. Ich kann sehen, dass in diesem Moment in ihm dasselbe wie in mir vorgeht. Doch dann senkt er seinen Blick im nächsten Moment wieder zu Boden, wird wieder fremd und jeder von uns gleitet zurück in seine eigene dunkle Nacht. Das Glas kehrt zurück und alles ist auf einmal wieder verschwommen, grau und farblos – die Farben, sie sind weg. Der leuchtende Stern, den ich eben noch sah, erscheint auf einmal wie ein verlorener Satellit. „ . . . du willst es nicht hören, aber dein Herz ist außer Betrieb“, hallt es im nächsten Moment durch meinen Kopf. „Und das ist für dich. Da ist Sehnsucht in deinem Blick. Ich fühl was du brauchst, ist nicht was du kriegst. Kannst dich fallen lassen, ich halt dich, bis du dir und allen vergibst . . . ich finde dich, wenn du mich suchst, weil du etwas ganz besonderes bist . . . “. Ich habe dieses Lied ewig nicht mehr gehört und nun dröhnt es in mir, als wäre es erst gestern gewesen. Ich merke, dass er wieder zu mir blickt und ich habe das Gefühl für eine Sekunde ein Leuchten in seinen Augen zu sehen, bevor die Tür vom Aufzug mit einem lauten Ruck aufspringt und uns auf den Boden der Tatsachen zurück holt. Er schaut noch immer zu mir, sagt mit erstickter Stimme: „Tschüß“ – kein „Ein schönen Tag noch“ wie sonst immer und steigt aus, rennt wieder zurück in seine Welt ohne mich.
Ich kann es nicht glauben, was da gerade passiert ist. Wir waren Welten voneinander entfernt und doch einen Augenblick lang ganz nah auf demselben Stern. Er lässt die Sonne für mich nicht mehr unter gehen. Ich stehe im Lift im Regen der Liebe und fühle diese wundervolle Wärme, Geborgenheit, Leichtigkeit . . . ich bin unfähig mich zu bewegen, als die Tür sich im Keller öffnet und wieder schließt. Ich schreibe seinen Namen in Gedanken an die Wände im Lift. Ich will, dass er es weißt: In dieser Stadt ist jemand total verliebt in dich! Die stillen Wände des Aufzugs aus Metall sollen ihm sagen: „Ich liebe dich!“, wenn er das nächste Mal damit fährt und ich nicht da bin . . .
Mein Herz rast, mir ist total übel und ich hyperventiliere. Ich stehe in der Küche und muss mich mit einer Hand an der Arbeitsfläche anhalten, alles um mich herum dreht sich. Mein Körper vibriert und obwohl ich genau auf das zerbrochen Glas am Fußboden vor mir starre, sehe ich es überhaupt nicht. Eine ganz normale 50-Stunden-Woche liegt hinter mir. Ein toller Job - gerade ein neues aufregendes und herausforderndes, äußerst schwieriges Projekt begonnen. Ich bin immer gefragt, wenn Pioniergeist gesucht ist. Projekt für Projekt geht es nach oben. Rasch ein Team von zwei Dutzend Mitarbeitern übernommen und der Zwang, alles perfekt zu machen, mein ständiger Begleiter. Keine Herausforderung ist mir zu groß. Ich stürze mich in jede Aufgabe, jage hinter den schwierigsten Sachen her und merke nicht, dass ich mit Vollgas auf einen Abgrund zurase. Ich bin im Paradies und trotzdem fühlte ich die Hölle in mir. Nur in Ausnahmefällen bin ich weniger als 12 Stunden am Tag in der Arbeit. Und wenn ich nach Hause komme, halte ich den gleichen Takt: Mutter, Haus- und Putzfrau, Köchin, etc. – auch hier muss alles perfekt sein und glänzen. Der Stress nimmt auf allen Seiten zu. Private Probleme kommen dazu. Manuel hat eine schwierige Phase und in der Schule läuft es nicht so gut. Mein Körper sendet Alarmsignale. Ich kann nicht mehr richtig schlafen, habe Herzrasen und fühle mich innerlich leer und ausgebrannt.
Ich habe das Gefühl zu ersticken und keine Luft zu bekommen. Ich laufe zum Fenster, reiße es auf und ringe nach Luft. Ich schließe meine Augen und atme die kalte Luft ein, bis ich zittere vor Kälte. Als ich meine Augen wieder öffne, fällt mein Blick auf das Auto des Nachbarn von oben, das auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkt und ich muss an ihn denken. Ich sehe sein Gesicht vor mir, das Leuchten in seinen Augen, das Lächeln auf seinen Lippen und ich erinnere mich an unser letztes Treffen im Lift. Unwillkürlich erscheint ein Lächeln in meinem Gesicht und meine Atmung normalisiert sich. Langsam fällt der ganze Stress von mir ab und es geht mir besser. Ohne ihn wäre ich schon längst zusammengebrochen. Er gibt mir so viel Kraft – allein dadurch, dass er nur da ist . . . im Lift . . . in der Früh. „Du bist das, was mich am Leben hält. Ohne dich könnte ich all das nicht tragen. Ohne dich hörte mein Herz auf zu schlagen. Du machst mich wach und wacher. Du bist mein Herzschrittmacher . . .“, singe ich leise vor mich hin und beginne die Scherben aufzusammeln . . .
Das schrille Piepsen meines Weckers unterbricht die Stille im Schlafzimmer. Ich drehe mich schlaftrunken auf die Seite. Das Licht vom Handydisplay ist angegangen und durchbricht als einziges Licht das Dunkel der Nacht. Es blendet meine noch nicht an helles Licht gewöhnten Augen. Mit zusammengekniffenen Augenlidern greife ich nach dem unangenehm strahlenden Ding und drücke den Wecker weg. Ich lasse meinen Oberkörper mit einem lauten Stöhnen auf das Kissen zurück fallen. Ich bin noch schrecklich müde und völlig gerädert. Ich kann es nicht fassen, dass es schon kurz vor Fünf ist und ich tatsächlich schon aufstehen muss. Aber dann denke ich an den Nachbarn von oben. Ein Lächeln erscheint dabei unwillkürlich auf meinem Gesicht und plötzlich fällt mir das Aufstehen überhaupt nicht mehr schwer. Die Müdigkeit von vor ein paar Minuten ist wie weggeblasen. Ich bin hellwach und schlage die Bettdecke voller Vorfreude auf ein mögliches Zusammentreffen im Lift mit einem Ruck zur Seite. Ich springe aus dem Bett und summe gut gelaunt mein aktuelles Lieblingslied. Ich spüre ein Kribbeln in meinem Bauch, als ich wieder an den Nachbarn denke. Und ich muss ständig an in denken, wenn ich wach bin. Den ganzen Tag. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen und ich versinke in Gedanken. Ich sehe sein Gesicht vor mir – seine blauen Augen, sein Lächeln . . .
Ich könnte schreien vor Glück und doch ist da noch ein anderes
Gefühl: die Angst, dass wir uns heute nicht sehen könnten, dass ich
nicht rechtzeitig fertig werde oder er schon früher geht, als ich weg
komme . . . eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Das Kribbeln in meinem
Bauch wird stärker. Wir müssen uns einfach sehen – jeder Tag ohne ihn
ist mittlerweile ein verlorener Tag für mich. Mir wird bewusst: Meine
davor so graue und trostlose Welt ist wieder bunt geworden. Mit ihm sind
die Farben wieder in mein Leben zurückgekehrt und sie leuchten so hell,
wie nie zuvor. Und dabei hatte ich bis zu diesem Augenblick nicht
einmal bemerkt, dass sie aus meinem Leben verschwunden waren. Völlig
normal war dieses alltägliche Grau für mich geworden, das ich bis zu
diesem Tag nicht ein Mal hinterfragt habe. Nicht ein einziges Mal! Bis
er meine Welt wieder bunt gemacht hat – einfach nur dadurch, dass er da
war – im Lift. Ich genieße jede Sekunde mit ihm, denn mehr Zeit ist es
nicht, die ich mit ihm habe – jeden Morgen aufs Neue, wenn uns der
Zufall oder die Bestimmung - keine Ahnung, was von beiden dafür auch
immer verantwortlich ist - ein Zusammentreffen beschert. Die Lust am
Leben – ich habe sie endlich wieder zurück. Die dunklen Wolken am Himmel
sind verschwunden und die Sonne strahlt wieder für mich – erst jetzt
wird mir bewusst, wie sehr ich das vermisst habe und wie schön das Leben
eigentlich sein kann. Ich fühle mich endlich wieder leicht wie eine
Feder und mein Gewicht beginnt sich langsam aber doch diesem
Gefühlszustand anzunähern. Aber noch esse ich viele Kohlenhydrate und so
sind es nur wenige Kilos, bis erneut Stillstand auf der Waage eintritt.
Ich habe meinen Willen zum Abnehmen durch ihn zurück bekommen und
esse bereits seit ein paar Wochen viel weniger als davor. Die ersten
Kilos purzeln bereits von meinen Hüften – irgendwie ganz mühelos und
leicht stelle ich überrascht fest. Mein Hungergefühl ist deutlich
reduziert und ich staune selbst darüber. Noch bin ich aber davon
überzeugt, dass sich das bald wieder ändern wird. Ich ahne zu diesem
Zeitpunkt nicht, dass diesmal alles anders sein wird und ich mich in ein
paar Monaten über unglaubliche 45 Kilo weniger auf der Waage und ein
völlig neues Leben freuen werde können. Ich schiebe das Ganze auf die
Schmetterlinge in meinem Bauch, die jetzt gerade am Beginn, unbestritten
sicher auch einen wesentlichen Teil dazu beigetragen, mit dem Abnehmen
wieder zu beginnen. Verliebt sein, macht es leichter, eine Diät zu
beginnen und länger durchzuhalten und gegen den Hunger anzukämpfen. Aber
das ist nur eine erste Hilfe am Anfang. Um erfolgreich und dauerhaft
abzunehmen braucht es viel mehr. Warum esse ich jetzt, wo ich verliebt
bin weniger und habe kaum Hunger? Es sind die Schmetterlinge in meinem
Bauch! Sie machen schlank! Sie produzieren jetzt nicht nur
appetitzügelnde Glücksgefühle, sondern von meinem Körper wird darüber
hinaus auch ein Cocktail an guten Stresshormonen, Testosteron und
Adrenalin ausgeschüttet. Allen voran: Serotonin und Dopamin. Diese
Hormone werden auch beim Leistungssport freigesetzt. Hormone, die
Appetit und Hungergefühle hemmen und dadurch schlank machen! Das
Appetit- und das Sättigungszentrum im Hypothalamus sind die
Schaltzentrale für Hunger- und Sättigungsgefühle. Botenstoffe wie
Adrenalin, Serotonin und Dopamin regulieren den Appetit. Je mehr
Serotonin zwischen den Nervenzellen agiert, desto kleiner ist der
Hunger.
Mein Körper steht, weil ich frisch verliebt bin, jetzt ständig
unter Stress. Das bedeutet Hochleistung! Der Stoffwechsel ist aktiviert.
Ich stehe sprichwörtlich unter Strom, bin so gefordert, dass mein
Kalorienverbrauch ansteigt und das Hormon Phenylethylamin (PEA) in
größeren Mengen von meinem Körper produziert wird. Und PEA hemmt
ebenfalls den Appetit! So kommt es, dass ich jetzt abnehmen kann, ohne
es wirklich zu merken. Der menschliche Körper ist im Liebesrausch eine
wahre Verbrennungsmaschine. Von dieser “Liebes-Diät” bekomme ich selbst
jetzt aber gar nicht viel mit. Denn meine Gedanken drehen sich die
meiste Zeit um meinen Nachbarn! Ich habe ein Ziel: diesem Mann den Kopf
zu verdrehen! Und: Ich will jetzt wirklich abnehmen, damit ich wieder so
fesch und sexy wie früher werde und ihm gefalle. Und das motiviert mich
ungemein! Aber das alleine ist es nicht, was es mir im Moment so leicht
macht weniger zu essen. Doch davon werde ich selbst erst in einiger
Zeit etwas erfahren . . .
Kurze Zeit später sind meine schlimmsten Ängste leider Realität
geworden . . . Mit zittrigen Händen versuche ich den Autoschlüssel
ins Schlüsselloch zu stecken. Ich bin angespannt und habe es
fürchterlich eilig. Und gerade jetzt, wo alles schnell gehen sollte,
schaffe ich es nicht, das Auto rasch aufzusperren. Warum muss ich auch
so eine alte Kiste fahren, die keine Zentralverriegelung hat, die man
rasch mit einem Knopfdruck öffnen kann. Immer wieder rutscht der
Schlüssel durch das Zittern meiner Hände beim Versuch ab, ihn im
schummrigen Licht in der Garage ins Schloss zu stecken, bevor ich es
endlich schaffe und der Verriegelungsknopf sich im Inneren des Wagens
hebt. Ich reiße die Autotür mit einem heftigen Ruck auf und zwänge mich
in den Wagen. So schnell es geht starte ich das Auto und donnere von der
Rampe. Während ich zur Ausfahrt rolle kurble ich gleichzeitig mit einer
Hand hastig das Seitenfenster herunter. In strecke meinen linken Arm
schnell durch den schmalen Spalt und versuche das Seil vom Toröffner zu
ziehen. Doch es entgleitet mir und beginnt wild herum zu schwingen,
wodurch ich das blöde Ding noch weniger zu fassen bekomme. `Mist, das
gibt es ja nicht!´, fluche ich innerlich und ärgere mich über meine
Ungeschicklichkeit bis ich das Seil endlich zwischen meinen Fingern
spüre und daran ziehen kann. Mit einem lauten Geräusch höre ich, wie
sich das Garagentor oben zu öffnen beginnt. So jetzt aber schnell die
Ausfahrt rauf.
Der Nachbar ist heute schon etwas früher gegangen. Ich habe den
Lift um ein paar Sekunden verpasst, aber vielleicht sehe ich ihn noch
draußen auf der Straße. Ich muss mich beeilen. Oben beim Tor angekommen
ist der Rollbalken erst bis zur Hälfte offen. Ungeduldig schaue ich ihm
zu, wie er sich langsam weiter nach oben bewegt. Stück für Stück.
Sekunden werden zu Ewigkeiten. Ich wetze ungeduldig auf dem Autositz hin
und her. „Jetzt mach schon!“, rufe ich ungeduldig zum Tor. Doch der
Rollbalken bewegt sich unbeeindruckt im gleichen Tempo langsam weiter.
Endlich ist das Ding so weit offen, dass ich unter dem Rolltor
durchfahren kann, ohne mit dem Auto stecken zu bleiben.
Ich gebe Gas. Der Motor heult auf. Vor dem Gehsteig halte ich
kurz an und rolle langsam weiter. Mit großen bangenden Augen spähe ich
um die Mauerecke auf die andere Straßenseite. Da steht sein Wagen noch
etwas weiter stadteinwärts vom Haus entfernt, aber er hat die Lichter
und den Blinker schon an und das Fahrzeug parkt bereits aus. Der
Gehsteig ist frei, die Fahrbahn auch. Ich gebe Gas. Die Ampel vorne ist
grün, blinkt aber bereits. Mit quietschenden Reifen schießt der Wagen
auf die Straße
und auf die
Ampel zu, die gerade auf orange gesprungen ist. Ich bremse stark ab,
damit ich die Kurve bekomme. Mittlerweile ist es Rot geworden. Egal, ich
kann jetzt nicht stehen bleiben. Ich muss da noch drüber. Mit abermals
quietschenden Reifen biege ich um die Kurve. Der Wagen neigt sich
bedenklich zur Seite, fällt dann aber auf alle vier Reifen zurück und
ich gebe wieder Gas.
Ich düse stadteinwärts hinter seinem Wagen her. Ein paar Gassen
weiter ist eine Ampel rot und davor steht sein Auto. Ich fahre so
schnell es geht und quietsche mich neben ihm ein. Ich schaue zu ihm
rüber. Er dreht seinen Kopf in meine Richtung, bemerkt mich und da ist
es: das Lächeln, das im Moment die Welt für mich bedeutet. Das schönste
Lächeln, das ich je gesehen habe. Ich bleibe daran hängen und vergesse
alles um mich herum. Ich schaue zu ihm und erwidere sein Lächeln. Er
winkt, zwinkert mir mit beiden Augen aufmunternd zu und schenkt mir
nochmal sein schönstes Lächeln bevor sein Wagen anfährt. Ich bin
versunken im Glück und sehe uns Hand in Hand über eine bunte
Sonnenblumenwiese laufen. Ich kann die Sonne auf meiner Haut spüren, ich
sehe den blauen Himmel und Schmetterlinge, ich rieche den Duft der
Blüten und höre die Vögel zwitschern. Ein verärgertes Hupen und
blinkende Lichter holen mich in die Realität zurück. Ich bemerke den
Autofahrer hinter mir, der schon los fahren möchte und lege den ersten
Gang ein.
Den Polizist, der an der anderen Hausecke stand, als ich bei Rot
auf der Kreuzung umgedreht habe, habe ich nicht bemerkt. Von dem werde
ich erst ein paar Wochen später erfahren – nämlich an dem Tag, an dem
das Strafmandat in meiner Post sein wird . . .
Freitagmorgen. Ich wache schon von selbst etwas vor dem Weckerläuten auf. Ich strecke mich im Bett und habe ein Grinsen im Gesicht. Ich habe heute Nacht wieder einmal von diesem unbekannten und doch nicht mehr fremden Mann von oben geträumt. Ich betrachte die über die Decke im Schlafzimmer flitzenden Lichtstreifen der vorbeifahrenden Autos von draußen vor dem Haus. Es hört sich an, als ob es regnen würde. Ein Wetter, um eigentlich im Bett zu bleiben. Aber nicht für mich: Ich freue mich darauf, dass ich meinen Nachbarn bald sehen werde. Ich kann es nicht erwarten bis es 06:15 wird – egal, ob es draußen schüttet oder schneit, egal, ob es hell oder dunkel ist. Im nächsten Moment läutet auch schon der Wecker und reißt mich aus meinen Gedanken: 05:50 Uhr – Zeit zum Aufstehen. Ich springe leichten Fußes aus dem Bett und tanze summend ins Badezimmer.
Die Zeit vergeht total schnell und ehe ich es mich versehe, stehe ich auch schon wieder mit ihm im Lift. Er lehnt an der einen Seite des Aufzugs und hat seinen Kopf an die Wand gelegt. Er schließt für einen Moment seine Augen und ich habe das Gefühl, dass er heute noch gerne etwas länger geschlafen hätte. Ich frage ihn: „Wie geht´s? Du schaust müde aus.“. Er blickt zu mir und antwortet: „Ja, das bin ich. Immer dieses frühe Aufstehen. Das Arbeiten ist es ja nicht. Aber das frühe Aufstehen! Das ist echt schlimm, jetzt wo es in der Früh so dunkel ist . . .“
Ich lächle und erwidere: „Aber geh, du siehst das völlig falsch!“ Neugierig, was ich jetzt weiter sagen werde schaut er mich an. Ich fahre fort: „Schau mal: Wenn du heute nicht so früh aufstehen hättest müssen, dann hättest du auch nicht mit so einer feschen Frau im Lift fahren können. Betrachte es doch mal so!“. Ich hebe meine Augenbrauen und schaue in schelmisch grinsend an. Er beginnt zu lächeln, schüttelt leicht mit dem Kopf und sagt: „Stimmt! Stimmt . . .“ bevor er aussteigt und mir "Tschüß! Einen schönen Tag!" zu ruft. Als ich das übliche "Danke, dir auch!" antworte bleibt er kurz stehen, dreht sich zu mir um und ich habe das Gefühl, dass er noch etwas sagen will. Aber bevor er das tun kann, ist die Lifttür auch schon zu geflogen und der Aufzug fährt mit mir ein Stockwerk tiefer in die Garage.
Ich grinse ausgelassen und blicke vor dem Aussteigen aus dem Lift kurz in den Spiegel. Meine Augen glänzen. Na, wenn das kein Argument war?! Vielleicht fällt ihm das Aufstehen damit in Zukunft leichter! Man wird sehen! Mir fällt es in letzter Zeit so leicht wie nie! Und dabei ist es vor allem zu dieser Jahreszeit, wenn draußen noch alles dunkel ist und es stürmt und wie aus Kübeln schüttet, normal auch für mich echt schwer so früh aufzustehen. Seit ein paar Wochen ist das anders. Aufstehen ist leicht für mich geworden – und das liegt nicht nur an meinem weniger werdenden Körpergewicht . . .
Später an diesem Tag
Ich sitze im Auto. Draußen regnet es immer noch. Dicke Regentropfen prasseln auf die Windschutzscheibe vor mir und kugeln nach unten. Der Wind peitscht sie durch die Luft und gegen meinen Wagen. Ein Tag voll Regen ist das heute. Es ist kalt. Aber wärmer als in den letzten Tagen, weshalb es zur Abwechslung mal regnet und nicht schneit. Es gießt in Strömen schon seit in der Früh. Ich bin völlig durchnässt, obwohl ich nur schnell über die Straße zum Labor und wieder zurück zum Auto gelaufen bin. Es wird bereits langsam dunkel draußen. Ich betätige die Scheibenwischer und starre zum düsteren Himmel hinauf, der völlig mit grauen Wolken verhangen ist, bis sich vor meinen Augen auf dem Glas so viele Regentropfen bilden, dass ich kaum noch etwas sehen kann. Ich betätige die Wischer erneut und das gleiche Spiel wiederholt sich. Ich weiß nicht, wie lange ich so da sitze. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken und beschert mir eine Gänsehaut - nicht von den nassen Sachen und der Kälte, sondern vom Anblick meines Blut- und Harnbefunds, den ich gerade aus dem Labor geholt habe. Meine Augen gleiten immer wieder ungläubig über die zwei Blätter. Ich kann nicht glauben, was ich da sehe: nur wenige Werte sind fett gedruckt und entsprechen somit nicht der Norm! So gut waren meine Blutbefunde schon lange nicht. 9 Kilo weniger und solch eine Auswirkung?! Ich habe doch schon öfters abgenommen und noch mehr Kilos verloren, aber meine Blutwerte waren nie so gut.Na ja, vielleicht hat das nichts zu bedeuten.
Ich schaue wieder auf das Papier in meinen Händen und blättere um. Hier ist etwas im Harnbefund fett gedruckt: Ketonkörper positiv. Der Wert passt nicht! `Was zur Hölle ist das jetzt schon wieder´, schießt es mir durch den Kopf. Das war noch nie fett gedruckt. Etwas beunruhigt nehme ich mein Handy zur Hand und google den Begriff, den ich davor noch nie gehört habe und der mir auch noch auf keinem Befund davor aufgefallen wäre.
„Ketokörper oder auch Ketonkörper ist die Sammelbezeichnung für drei Verbindungen, die vor allem in katabolen Stoffwechsellagen (also Hunger, Reduktionsdiät oder kohlenhydratarme Ernährung) gebildet werden und unter Umständen zu einer Ketose führen. Unter Ketokörpern fasst man Acetoacetat (auch Acetacetat genannt), Aceton und β-Hydroxybutyrat bzw. 3-Hydroxybutyrat zusammen. Letztere Verbindung ist die bedeutendste der drei.
Die Ketokörper werden in der Leber aus Acetyl-CoA gebildet, welches aus der β-Oxidation stammt. Sie stellen eine transportable Form des Acetyl-CoAs im menschlichen Körper dar. Zur Verwertung der Ketokörper müssen sich Gehirn und Muskeln aber zunächst umstellen, indem sie Enzyme exprimieren, die zur Rückwandlung von Ketokörpern in Acetyl-CoA benötigt werden. In Hungerzeiten tragen die Ketokörper einen beträchtlichen Anteil zur Energiegewinnung bei. So ist es dem Gehirn nach einiger Zeit möglich, mit 40 Gramm anstatt mit 120 Gramm Glucose pro Tag auszukommen.
Ketonkörper entstehen bei absolutem oder relativem Kohlenhydratmangel als Nebenprodukt der Fettverbrennung in den Mitochondrien der Leberzellen (Hepatozyten) - zum Beispiel bei Hungerzuständen. Für den Gehirnstoffwechsel ist die Bildung von Ketonkörpern dabei essentiell, da sie neben Glucose die einzige Energiequelle darstellen.“ (Wikipedia)
Mhhhh . . . ich verstehe nicht viel davon (noch nicht), nur eines: es scheint nichts Schlimmes zu sein, sondern sogar etwas Positives. Es dürfte mit dem extremen Abnehmen der letzten Wochen zusammen hängen. Meine Fettverbrennung scheint endlich in Schwung gekommen sein. Eine erfreuliche Wendung . . .
Ich starte den Wagen und schalte die Scheibenwischer auf Dauerbetrieb. Ich parke aus und reihe mich in den Verkehr ein. Es regnet unablässig weiter und die Sicht ist schlecht. Draußen frieren die Menschen im nasskalten Wetter. Ich sehe Leute mit eingezogenen Hälsen und eng an den Körper gepressten Armen mit den zu Fäusten geballten Händen in den Jackentaschen herumlaufen. Auch im Auto ist es kalt. Ich bin alleine und doch auch nicht mehr. Und deshalb macht sich trotz der Kälte heute eine wohlige Wärme und ein Gefühl von Zufriedenheit in mir breit: ich bin scheinbar auf dem richtigen Weg! In jeder Hinsicht! Endlich . . .
Fortsetzung folgt . . .