Freitagmorgen. Ich wache schon von selbst etwas vor dem Weckerläuten auf. Ich strecke mich im Bett und habe ein Grinsen im Gesicht. Ich habe heute Nacht wieder einmal von diesem unbekannten und doch nicht mehr fremden Mann von oben geträumt. Ich betrachte die über die Decke im Schlafzimmer flitzenden Lichtstreifen der vorbeifahrenden Autos von draußen vor dem Haus. Es hört sich an, als ob es regnen würde. Ein Wetter, um eigentlich im Bett zu bleiben. Aber nicht für mich: Ich freue mich darauf, dass ich meinen Nachbarn bald sehen werde. Ich kann es nicht erwarten bis es 06:15 wird – egal, ob es draußen schüttet oder schneit, egal, ob es hell oder dunkel ist. Im nächsten Moment läutet auch schon der Wecker und reißt mich aus meinen Gedanken: 05:50 Uhr – Zeit zum Aufstehen. Ich springe leichten Fußes aus dem Bett und tanze summend ins Badezimmer.
Die Zeit vergeht total schnell und ehe ich es mich versehe, stehe ich auch schon wieder mit ihm im Lift. Er lehnt an der einen Seite des Aufzugs und hat seinen Kopf an die Wand gelegt. Er schließt für einen Moment seine Augen und ich habe das Gefühl, dass er heute noch gerne etwas länger geschlafen hätte. Ich frage ihn: „Wie geht´s? Du schaust müde aus.“. Er blickt zu mir und antwortet: „Ja, das bin ich. Immer dieses frühe Aufstehen. Das Arbeiten ist es ja nicht. Aber das frühe Aufstehen! Das ist echt schlimm, jetzt wo es in der Früh so dunkel ist . . .“
Ich lächle und erwidere: „Aber geh, du siehst das völlig falsch!“ Neugierig, was ich jetzt weiter sagen werde schaut er mich an. Ich fahre fort: „Schau mal: Wenn du heute nicht so früh aufstehen hättest müssen, dann hättest du auch nicht mit so einer feschen Frau im Lift fahren können. Betrachte es doch mal so!“. Ich hebe meine Augenbrauen und schaue in schelmisch grinsend an. Er beginnt zu lächeln, schüttelt leicht mit dem Kopf und sagt: „Stimmt! Stimmt . . .“ bevor er aussteigt und mir "Tschüß! Einen schönen Tag!" zu ruft. Als ich das übliche "Danke, dir auch!" antworte bleibt er kurz stehen, dreht sich zu mir um und ich habe das Gefühl, dass er noch etwas sagen will. Aber bevor er das tun kann, ist die Lifttür auch schon zu geflogen und der Aufzug fährt mit mir ein Stockwerk tiefer in die Garage.
Ich grinse ausgelassen und blicke vor dem Aussteigen aus dem Lift kurz in den Spiegel. Meine Augen glänzen. Na, wenn das kein Argument war?! Vielleicht fällt ihm das Aufstehen damit in Zukunft leichter! Man wird sehen! Mir fällt es in letzter Zeit so leicht wie nie! Und dabei ist es vor allem zu dieser Jahreszeit, wenn draußen noch alles dunkel ist und es stürmt und wie aus Kübeln schüttet, normal auch für mich echt schwer so früh aufzustehen. Seit ein paar Wochen ist das anders. Aufstehen ist leicht für mich geworden – und das liegt nicht nur an meinem weniger werdenden Körpergewicht . . .
Später an diesem Tag
Ich sitze im Auto. Draußen regnet es immer noch. Dicke Regentropfen prasseln auf die Windschutzscheibe vor mir und kugeln nach unten. Der Wind peitscht sie durch die Luft und gegen meinen Wagen. Ein Tag voll Regen ist das heute. Es ist kalt. Aber wärmer als in den letzten Tagen, weshalb es zur Abwechslung mal regnet und nicht schneit. Es gießt in Strömen schon seit in der Früh. Ich bin völlig durchnässt, obwohl ich nur schnell über die Straße zum Labor und wieder zurück zum Auto gelaufen bin. Es wird bereits langsam dunkel draußen. Ich betätige die Scheibenwischer und starre zum düsteren Himmel hinauf, der völlig mit grauen Wolken verhangen ist, bis sich vor meinen Augen auf dem Glas so viele Regentropfen bilden, dass ich kaum noch etwas sehen kann. Ich betätige die Wischer erneut und das gleiche Spiel wiederholt sich. Ich weiß nicht, wie lange ich so da sitze. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken und beschert mir eine Gänsehaut - nicht von den nassen Sachen und der Kälte, sondern vom Anblick meines Blut- und Harnbefunds, den ich gerade aus dem Labor schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite geholt habe. Gänsehaut macht sich an meinem Körper breit. Meine Augen gleiten immer wieder ungläubig über die zwei Blätter. Ich kann nicht glauben, was ich da sehe: nur wenige Werte sind fett gedruckt und entsprechen somit nicht der Norm! So gut waren meine Blutbefunde schon lange nicht. 9 Kilo weniger und solch eine Auswirkung?! Ich habe doch schon öfters abgenommen und noch mehr Kilos verloren, aber meine Blutwerte waren nie so gut.Na ja, vielleicht hat das nichts zu bedeuten.
Ich schaue wieder auf den Befund und blättere um. Hier ist etwas im Harnbefund fett gedruckt: Ketonkörper positiv. Der Wert passt nicht! `Was zur Hölle ist das jetzt schon wieder´, schießt es mir durch den Kopf. Das war noch nie fett gedruckt. Etwas beunruhigt nehme ich mein Handy zur Hand und google den Begriff, den ich davor noch nie gehört habe und der mir auch noch auf keinem Befund davor aufgefallen wäre.
„Ketokörper oder auch Ketonkörper ist die Sammelbezeichnung für drei Verbindungen, die vor allem in katabolen Stoffwechsellagen (also Hunger, Reduktionsdiät oder kohlenhydratarme Ernährung) gebildet werden und unter Umständen zu einer Ketose führen. Unter Ketokörpern fasst man Acetoacetat (auch Acetacetat genannt), Aceton und β-Hydroxybutyrat bzw. 3-Hydroxybutyrat zusammen. Letztere Verbindung ist die bedeutendste der drei.
Die Ketokörper werden in der Leber aus Acetyl-CoA gebildet, welches aus der β-Oxidation stammt. Sie stellen eine transportable Form des Acetyl-CoAs im menschlichen Körper dar. Zur Verwertung der Ketokörper müssen sich Gehirn und Muskeln aber zunächst umstellen, indem sie Enzyme exprimieren, die zur Rückwandlung von Ketokörpern in Acetyl-CoA benötigt werden. In Hungerzeiten tragen die Ketokörper einen beträchtlichen Anteil zur Energiegewinnung bei. So ist es dem Gehirn nach einiger Zeit möglich, mit 40 Gramm anstatt mit 120 Gramm Glucose pro Tag auszukommen.
Ketonkörper entstehen bei absolutem oder relativem Kohlenhydratmangel als Nebenprodukt der Fettverbrennung in den Mitochondrien der Leberzellen (Hepatozyten) - zum Beispiel bei Hungerzuständen. Für den Gehirnstoffwechsel ist die Bildung von Ketonkörpern dabei essentiell, da sie neben Glucose die einzige Energiequelle darstellen.“ (Wikipedia)
Mhhhh . . . ich verstehe nicht viel davon (noch nicht), nur eines: es scheint nichts Schlimmes zu sein, sondern sogar etwas Positives. Es dürfte mit dem extremen Abnehmen der letzten Wochen zusammen hängen. Meine Fettverbrennung scheint endlich in Schwung gekommen sein. Eine erfreuliche Wendung . . .
Ich starte den Wagen und schalte die Scheibenwischer auf Dauerbetrieb. Ich parke aus und reihe mich in den Verkehr ein. Es regnet unablässig weiter und die Sicht ist schlecht. Draußen frieren die Menschen im nasskalten Wetter. Ich sehe Leute mit eingezogenen Hälsen und eng an den Körper gepressten Armen mit den zu Fäusten geballten Händen in den Jackentaschen herumlaufen. Auch im Auto ist es kalt. Ich bin alleine und doch auch nicht mehr. Und deshalb macht sich trotz der Kälte macht sich heute eine wohlige Wärme und ein Gefühl von Zufriedenheit in mir breit: ich bin scheinbar auf dem richtigen Weg! In jeder Hinsicht! Endlich . . .